Ein Infektionsexperte gab an, er habe bei einer Inspektion des Schiffes "Angst" wie noch nie im Laufe seiner Karriere gehabt.
Peking/Tokio/Wuhan. In einem für Japan völlig unüblichen Schritt hat ein angesehener Infektions-Experte heftige öffentliche Kritik an den Behörden und deren Umgang mit der Coronavirus-Krise an Bord der "Diamond Princess" geübt. Die Zustände auf dem Schiff seien "völlig chaotisch", berichtete Professor Kentaro Iwata von der Fakultät für Infektionskrankheiten der Universität Kobe.
Der Experte habe bei einer Inspektion des Schiffes "Angst" wie noch nie im Laufe seiner Karriere gehabt. Der Umgang mit dem Virus auf dem Schiff sei "völlig unangemessen", sagte Iwata, der am Dienstag nach langem Kampf von den Behörden die Erlaubnis bekommen hatte, auf das Schiff zu gehen. "Es gibt keine klare Abgrenzung zwischen den grünen (gesunden) Zonen und den roten (potenziell infizierten) Zonen. Und das Personal läuft hin und her", berichtete der Professor in im Internet verbreiteten Videos, die innerhalb kürzester Zeit hunderttausende Mal angeschaut wurden. Eine solche öffentliche Kritik an den Behörden und der Führung des Landes ist in Japan äußerst selten.
"Ich war in Afrika, um gegen Ebola zu kämpfen. Ich war in anderen Ländern wegen der Cholera. Und ich war auch 2003 in China, um mich um die Sars-Epidemie zu kümmern", berichtete Iwata weiter. "Niemals hatte ich solche Angst wie jetzt, mich selbst zu infizieren." Der Umgang mit der Coronavirus-Krise an Bord der "Diamond Princess" sei fälschlicherweise Bürokraten überlassen worden und nicht Experten.
Angesprochen auf Iwatas Videos wies Regierungssprecher Yoshihide Suga die Kritik zurück. Es seien auf dem Schiff von Anfang an "strikte Maßnahmen" angeordnet worden, um eine Weiterverbreitung des Virus an Bord zu verhindern. Dazu zählten vor allem "das Tragen von Masken, das regelmäßige Händewaschen und die Nutzung von Desinfektionsmitteln", berichtete Suga und versicherte: "Wir tun unser Bestes."
Die "Diamond Princess" war mit insgesamt 3.771 Menschen an Bord am 5. Februar von den japanischen Behörden vor Yokohama unter Quarantäne gestellt worden, weil an Bord das neuartige Coronavirus festgestellt wurde. Eine erste Gruppe von mehreren hundert Passagieren durfte am Mittwoch nach 14-tägiger Quarantäne und negativen Tests das Schiff verlassen. Zugleich aber meldete das Gesundheitsministerium, dass an Bord 79 weitere Infektionsfälle aufgetreten seien. Damit sind inzwischen insgesamt 621 Menschen infiziert, die meisten von ihnen wurden in Krankenhäuser gebracht.
Nach Quarantäne startete Ausschiffung
Nach zweiwöchiger Quarantäne durften am Mittwoch in Japan die ersten Passagiere des Kreuzfahrtschiffes "Diamond Princess" an Land gehen. Die Ausschiffung der rund 3.000 Menschen an Bord sollte mindestens drei Tage dauern. Als erste Gruppe konnten 500 meist ältere Passagiere das Schiff verlassen. Sie würden in die Innenstadt von Yokohama oder zu Bahnhöfen gebracht, so die Nachrichtenagentur Kyodo.
Anlass der Quarantäne war der Nachweis des Coronavirus Sars-CoV-2 bei einem 80-Jährigen aus Hongkong, der am 20. Jänner in Yokohama zugestiegen und fünf Tage später in Hongkong von Bord gegangen war. Bei den anfangs 3.700 Passagieren und Crewmitgliedern auf der "Diamond Princess" wurden bis Mittwoch 621 Infektionen mit dem neuen Coronavirus Sars-CoV-2 nachgewiesen. Alle Infizierten wurden in örtliche Krankenhäuser gebracht. Inzwischen sind alle Menschen an Bord getestet.
Die italienische Regierung schickte in der Nacht auf Mittwoch eine erste Maschine mit medizinischem Personal von Rom nach Japan. Die Rückholaktion wird nach den Worten des Außenministers Luigi Di Maio einige Zeit brauchen, da Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden müssten. Demnach folgt auf den ersten Flieger ein zweiter, mit dem die italienischen Passagiere in ihre Heimat fliegen sollen.
Rom hatte seit Tagen mit anderen Ländern über die Mitnahme von deren Staatsbürgern verhandelt. Italien könne insgesamt 26 bis 27 Menschen aus anderen europäischen Ländern mitnehmen, hieß es aus Rom. Auf der "Diamond Princess" befinden sich demnach rund 35 Italiener, bei einem von ihnen wurde Sars-CoV-2 nachgewiesen. Österreicher waren nicht betroffen.
Auch andere Länder holen ihre Landsleute heim. Von der Reederei Princess Cruises hieß es am Mittwoch, dass derzeit die Botschaften von Kanada, Australien und Hongkong die Abholung ihrer Bürger - Gäste und Besatzung - koordinierten. Nach Ankunft im Herkunftsland gingen sie weitere 14 Tage in Quarantäne. Die USA hatten bereits am Montag 328 Landsleute heimgeholt, darunter auch mindestens 14 Infizierte. Diese werden in Kliniken behandelt, alle übrigen Rückkehrer sollten für 14 Tage in Quarantäne bleiben.
Coronavirus-Verdacht auch auf Schiff in Kambodscha
In Kambodscha mussten Passagiere des Kreuzfahrtschiffes "Westerdam" unterdessen weiter auf ihre Heimreise warten. Andere waren bereits wieder daheim. Alle 781 in Kambodscha verbliebenen Reisenden der "Westerdam" seien negativ getestet worden, teilte die Reederei Holland America Line unter Berufung auf das kambodschanische Gesundheitsministerium mit. Die Heimreise könnte dennoch schwierig werden: Malaysia, Singapur, Thailand und Taiwan kündigten an, eine Durchreise nicht zu erlauben. Zudem wurden in einem Hotel in Phnom Penh wartende Reisende von Botschaftsmitarbeitern informiert, sie sollten es auch nicht über Südkorea oder Vietnam versuchen.
"Meine größte Sorge ist, wie wir jemals diesen Ort verlassen sollen, wenn uns alle Fluggesellschaften abweisen", sagte eine der deutschen Reisenden, Alexandra Dorschu aus Dorsten. Bei einer US-Passagierin der "Westerdam" war am Wochenende bei der Weiterreise in Malaysia überraschend eine Infektion mit Sars-CoV-2 festgestellt worden. Da waren viele der rund 2.300 Menschen an Bord bereits an Land gegangen. Das Ausschiffen wurde gestoppt. Unklar ist, wo sich die in Hongkong zugestiegene Amerikanerin angesteckt hat.
Unterdessen wurden aus China weiter steigende Fallzahlen gemeldet. Inzwischen sind nach offizieller Angabe mehr als 2.000 Menschen an dem neuartigen Coronavirus gestorben. Unter den Ärzten und Pflegern gibt es mit 3.000 Fällen etwa doppelt so viele Infizierte wie bisher bekanntgegeben, wie Staatsmedien am Mittwoch berichteten. Mindestens sieben sind gestorben. Die Zahl landesweit offiziell erfasster Infektionen stieg auf mehr als 74.000 Fälle. Allerdings gehen Experten von einer um ein Vielfaches höheren Dunkelziffer aus.
Außerhalb des chinesischen Festlands wurden bisher mindestens fünf Todesfälle und fast 1.000 Infektionen mit Sars-CoV-2 nachgewiesen. In Hongkong gab es örtlichen Medienberichten zufolge einen sechsten, offiziell noch unbestätigten Todesfall durch die Covid-19 genannte Lungenkrankheit.
Weiterhin kein bestätigter Fall in Österreich
In Österreich gab es weiterhin keinen bestätigten Fall. Bis Mittwoch wurden 179 Menschen auf das Virus getestet, alle Untersuchungen blieben laut Gesundheitsministerium negativ.
In China hat inzwischen ein gemeinsames Team von Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und von chinesischen Fachleuten seine Untersuchungen fortgesetzt. Die Gruppe besuchte die Südprovinz Guangdong, bevor es nach Sichuan weitergehen sollte. Die schwer betroffene Provinz Hubei in Zentralchina, wo die Lungenkrankheit Anfang Dezember ausgebrochen war und wo nach wie vor die meisten Infektionen gezählt werden, besuchen die Experten nicht. Ein Grund dafür wurde zunächst nicht genannt.
Aus Protest über einen als beleidigend empfundenen Kommentar im "Wall Street Journal" zum Ausbruch der Lungenkrankheit hat China drei Korrespondenten der Zeitung die Akkreditierung entzogen. Ein Außenamtssprecher teilte in Peking mit, ihnen werde mit sofortiger Wirkung die Pressekarte entzogen. Der gleichzeitige Entzug der Akkreditierung von drei ausländischen Korrespondenten ist eine ungewöhnlich scharfe Maßnahme. Damit entfällt praktisch auch ihre Aufenthaltsberechtigung in China, so dass die Korrespondenten ausreisen müssen.
Auslöser der chinesischen Verärgerung ist ein Meinungsbeitrag des amerikanischen Kolumnisten und Professors Walter Russell Mead im "Wall Street Journal" vom 4. Februar mit der Überschrift: "China ist der 'wahre kranke Mann' Asiens". Der Beitrag verunglimpfe die Bemühungen des chinesischen Volkes im Kampf gegen das Virus, hieß es.
Russland verhängt aus Sorge vor einer Einschleppung von Covid-19 von Donnerstag an eine Einreisesperre für Chinesen. Betroffen seien alle Einreisen zum Arbeiten oder für touristische und Studienzwecke, heißt es in einer Verfügung von Regierungschef Michail Mischustin. Russische Medien bezeichneten den ungewöhnlichen Schritt eines solchen "Totalverbots" am Mittwoch als beispiellos. Das Verbot gilt nur für chinesische Staatsbürger, nicht für andere aus China kommende Reisende, wie die Zeitung "Kommersant" berichtete. Allein 2019 reisten demnach 2,3 Millionen Chinesen nach Russland ein.