Machtkampf im Iran

Ober-Mullah verschollen: Wilde Gerüchte um Khamenei

Im Iran ist offenbar ein brutaler Machtkampf ausgebrochen. 

Seit Beginn der israelischen Angriffe ist der Oberste Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, wie verschollen. Der 86-Jährige wurde weder gesehen noch gehört und soll sich weiterhin in einem Bunker verstecken.

Die Abwesenheit des Diktators sorgt nun für wilde Spekulationen – Gerüchte über eine Ermordung oder sogar einen Putsch machen die Runde. Die entscheidende Frage ist dabei: Wer hat derzeit das Sagen in Teheran?

Wie die „New York Times“ berichtet, tobt im Iran bereits ein Machtkampf. Politiker und Militärkommandanten würden derzeit Allianzen schmieden und um Macht konkurrieren. Die besten Karten hat dabei Präsident Massud Peseschkian, der als einigermaßen moderat gilt.

Masoud Pezeshkian
© Getty

Die Lage im Iran ist allerdings undurchsichtig, Informationen dringen nur wenige nach draußen. Obwohl Iran den Krieg gegen Israel verloren hat, verkauft das Regime den Waffenstillstand als Erfolg. Auch die Pseudo-Vergeltungsschläge gegen US-Basen zeigen, dass die das Regime weiterhin handlungsfähig ist. 

Zeitdruck bei Nachfolge-Suche

Khamenei selbst hat bereits vor zwei Jahren ein Komitee zur Suche eines Nachfolgers eingerichtet. Bei den Beratungen des dreiköpfigen Komitees haben sich den Insidern zufolge zwei Favoriten herauskristallisiert: Khameneis 56-jähriger zweitgeborener Sohn Mojtaba und der 53-jährige Hassan Khomeini, der Enkel des Anführers der Islamischen Revolution, Ayatollah Ruhollah Khomeini.

Mojtaba Khamenei gilt als Hardliner, der die Politik seines Vaters fortsetzen würde. Er ist ein Geistlicher mittleren Ranges, der Theologie im schiitischen religiösen Zentrum Ghom unterrichtet. Er hat nie ein offizielles Regierungsamt bekleidet. Trotzdem hat Mojtaba laut Beobachtern im Iran erheblichen Einfluss, weil er zum Beispiel den Zugang zu seinem Vater regelt. Das US-Finanzministerium verhängte 2019 Sanktionen gegen ihn und erklärte, er vertrete seinen Vater "in offizieller Funktion, obwohl er nie in ein Regierungsamt gewählt oder ernannt wurde".

Hassan Khomeini hingegen steht der reformwilligen Fraktion nahe, die eine Lockerung sozialer und politischer Beschränkungen befürwortet. Er wird den Insidern zufolge erst seit kurzem als ernsthafter Kandidat in Betracht gezogen. Inmitten des Konflikts mit Israel und den USA könnte Khomeini international und auch im Inland eine versöhnlichere Alternative sein. Trotz seiner reformorientierten Haltung genießt er aufgrund seiner Abstammung Respekt bei hochrangigen Geistlichen und den Revolutionsgarden.

Im vergangenen Jahr hatte Khomeini vor einer wachsenden Unzufriedenheit in der iranischen Bevölkerung aufgrund von Armut und Entbehrung gewarnt. Am Samstag meldete er sich erneut zu Wort: "Ich bekunde noch einmal demütig, dass dieser kleine und unbedeutende Diener des iranischen Volkes bereitsteht, stolz an jeder Front präsent zu sein, die Sie für notwendig erachten", erklärte er in einer öffentlichen Botschaft der Unterstützung an Khamenei - nur Stunden, bevor die USA iranische Atomanlagen bombardierten.

Das Büro von Khamenei und der Expertenrat standen für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung.

Todesfälle erschweren Suche

Die Rolle des Obersten Führers wurde im Iran nach der Revolution 1979 geschaffen und in der Verfassung verankert. Sie gibt einem hochrangigen Geistlichen die Autorität über dem gewählten Präsidenten, der das Amt eines Regierungschefs innehat, und das Parlament. Gleichzeitig ist er Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Offiziell wird der Führer vom Expertenrat ernannt, einem Gremium aus 88 hochrangigen Geistlichen, die durch eine nationale Wahl bestimmt werden. Um für den Expertenrat zu kandidieren, braucht man die Zustimmung des Obersten Führers und des Wächterrats, eines Gremiums, das mit zwölf ultrakonservativen Mitgliedern besetzt ist.

Bei der Suche nach Khameneis Nachfolger sei noch nichts entschieden, betonen die Insider. Die Kandidaten könnten sich ändern und der Oberste Führer habe das letzte Wort. Khamenei selbst hat öffentlich keine Präferenz für einen Nachfolger geäußert. Er habe wiederholt die Idee abgelehnt, dass sein Sohn die Nachfolge antreten könne, sagten die Personen, mit denen Reuters sprach. Er sei besorgt, der Iran könnte zu einer Art Erbfolge zurückkehren, wie sie mit dem Sturz des Schahs 1979 endete.

Erschwert wird die Nachfolgeplanung durch den Verlust mehrerer potenzieller Kandidaten in den letzten Jahren. So starb der frühere Präsident Hashemi Rafsanjani 2017, der ehemalige Justizchef Mahmoud Hashemi Shahroudi 2018. Präsident Ebrahim Raisi kam 2024 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben. Andere, zum Beispiel Ayatollah Alireza Arafi, ein Mitglied des Expertenrats, zählten zwar noch zum Kandidatenkreis, lägen aber hinter den beiden Hauptanwärtern, sagen die Insider.

Langsamer Übergang

Bei der Suche nach einem neuen Oberhaupt müssen die Geistlichen abwägen: Sollen sie auf Kontinuität oder auf einen moderateren Kurs setzen? Ein Insider, der Khameneis Büro nahesteht, betonte, dass der neue Führer den revolutionären Grundsätzen Ruhollah Khomeinis treu sein müsse. Gleichzeitig überlege die Führung, welcher Kandidat ein gemäßigteres Gesicht zeigen könnte, um ausländische Angriffe und interne Aufstände zu beschwichtigen. "Ob die Islamische Republik überlebt oder nicht - sie wird eine ganz andere sein, weil sich der Kontext, in dem sie existiert, grundlegend geändert hat", fasst der in London lebende iranische Politik-Analyst Hossein Rassam zusammen. "Das Regime muss sich für jemanden entscheiden, der einen langsamen Übergang erleichtert."

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