Jemen

Salzburgerin erlebt Massenproteste

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Demonstrationen "haben starken Versöhnungsfaktor

Die ehemalige Leiterin der Salzburger Sommerakademie, Barbara Wally (63), erlebt die Unruhen in Jemen hautnah mit. Die Salzburgerin wohnt mit ihrem Mann in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, nur zehn Gehminuten vom "Platz des Wandels" entfernt, wo gestern, Freitag, hunderttausende Menschen gegen Präsident Ali Abdullah Saleh demonstriert haben. "Gestern war die Lage noch hochexplosiv. Heute scheint es so, als ob das Ärgste vorbei ist", sagte Wally am Samstag gegenüber der APA.

   Barbara Wally lebt seit drei Jahren teilweise im Jemen. Gemeinsam mit ihrem Mann Alkhadher Alsharafi führt sie das Reisebüro "Adensafari" und organisiert Jemen-Reisen. Auch wenn sie heute nur Alltagsgeräusche von den Straßen hört und keine rollenden Panzer und Schüsse, "ist man schon angespannt", antwortete Wally auf die Frage, wie sicher sie sich in der Stadt fühlt. "Der Österreichische Botschafter aus dem Oman hat mir geraten, Jemen zu verlassen. Aber ich will hierbleiben." Denn gemeinsam mit ihrem Mann sei die Anspannung leichter zu ertragen als getrennt im Ausland, zeigt sich die zum Islam konvertierte Kunsthistorikerin tapfer.

   Wie die Salzburgerin  auch gegenüber dem ORF Salzburg erklärt hat, geht sie wieder auf die Straße zum Einkaufen. "Das Alltagsleben ist relativ ungestört." Gestern noch seien Panzer aufgefahren. "Der kleinste Sprengsatz hätte etwas auslösen können. Es war wie ein Tanz auf dem Vulkan."

   Die Demonstranten wollten die sofortige Ablöse des Präsidenten friedlich herbeiführen, erzählte Wally. "Gestern war ein Marsch zum Palast des Präsidenten geplant. Die Hundertausende sind aber auf dem 'Platz des Wandels' geblieben, um eine blutige Auseinandersetzung zu vermeiden." Man habe befürchtet, dass Salehs Anhänger bewaffnet wären - im Gegensatz zu den Demonstranten. Aus Angst vor Saboteuren werden sie von Aktivisten aus den eigenen Reihen auf Waffen untersucht. "Nach dem Blutbad am Freitag vor einer Woche wurden zehn der mörderischen Heckenschützen festgesetzt, die dem Militärgericht übergeben wurden." Sie stünden nachweislich unter der Befehlsgewalt des Präsidenten.

   Etwa ein Drittel des Heeres unter der Führung von General Ali Mohsen AlAchmar habe sich nach dem Massaker mit den Demonstranten solidarisch erklärt. Diese Soldaten schützten das Volk und die Demonstranten, schilderte Wally. Tausende Ärzte hielten sich zur Betreuung der Demonstranten bereit und machten Turnusdienst, auch viele Krankenschwestern. "Ich selbst bin zweimal zu den Demonstrationen hingegangen und war sehr beeindruckt, wie professionell, diszipliniert und friedlich die Kundgebungen verlaufen und wie solidarisch die Jemeniten sind. Hier demonstriert die Jugend für eine bessere Zukunft."

   Spaltungstendenzen nach der Ära Saleh würden keine befürchtet, erläuterte Wally. "Im Gegenteil: Saleh hat seine Macht vor allem deshalb so lange halten können, weil er Zwietracht zwischen religiösen Gruppen und Stämmen säte und schürte. Die Demonstrationen haben einen starken Einigungs- und Versöhnungsfaktor." Das Blutbad vor einer Woche mit  52 Toten habe die Sicherheitspolizei angerichtet. "Die verschiedenen Einheiten von Sicherheitspolizei und Heeresdiensten versuchen, gewalttätige Auseinandersetzungen zu provozieren, um kriegerische Handlungen zu rechtfertigen."

   Für den Abgang des Machthabers und eine Verfassungsänderung sei alles vorbereitet, berichtete Wally. "Es gibt hier sechs Oppositionsparteien. Sie haben sich zur 'Vereinigten Opposition' zusammengeschlossen und arbeiten an einer gemeinsamen Lösung. Radikale sind da keine dabei." Die politische Ausrichtung der Parteien umfasse die ganze Palette, von Sozialisten über Liberale bis zur wertkonservativen islamischen Partei "Islah", welche die größte Oppositionspartei in Jemen sei. "Die Demonstranten sind aber auch gegenüber der etablierten Opposition misstrauisch."

   Über die Vorgänge in Jemen ist Wally relativ gut informiert. "Zur Zeit laufen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen über die Modalitäten der Ablöse." Es gebe eine "eingeschränkte" Pressefreiheit, in privaten Fernsehsendern und Printmedien werde über regierungskritische Stimmen berichtet.
 

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