Am dritten Tag der "Gelbwesten"-Proteste zählte die Polizei landesweit rund 125.000 Demonstranten. Über 1.400 Festnahmen.
Am Rande der "Gelbwesten"-Proteste in Frankreich sind rund tausend Menschen vorläufig festgenommen worden. Mehr als 720 seien weiter in Polizeigewahrsam, hieß es am Samstagnachmittag von Seiten der Polizei.
Die meisten Festnahmen erfolgten demnach in Paris. Die Polizei schätzte die Zahl der Demonstranten am Nachmittag landesweit auf fast 77.000.
Brennpunkt Champs-Elysees
Die meisten Einzelhändler auf den Champs-Elysees sind dem Aufruf der Polizeipräfektur gefolgt und haben ihre Schaufenster mit Holzplatten verrammelt. Eine Gruppe von Demonstranten versucht, die Absperrungen des Nobelkaufhauses Drugstore Publicis in Brand zu setzen. Einzelne dringen in das Geschäft ein, werden aber mit Tränengas vertrieben. Eine Frau wird am Kopf verletzt.
"Volksaufstand"
In der Nähe des Kaufhauses löschen Feuerwehrleute brennende Weihnachtsbäume. Immer mehr Vermummte kommen vor dem Triumphbogen zusammen, der am vergangenen Wochenende von Randalierern beschmiert und zum Teil verwüstet wurde. Einzelne schwenken die Trikolore als Zeichen für den selbst ernannten "Volksaufstand".
"Die Regierung benutzt die Randalierer, um die Gelbwesten zu diskreditieren", empört sich ein 50-jähriger Demonstrant am Triumphbogen, der von Anfang an bei den Protesten dabei ist. Innenminister Christophe Castaner hat von einem "Monster" gesprochen, das seinen Schöpfern entgleitet, und hat damit viele Aktivisten empört.
"Macron, gib das Geld zurück", steht auf einem gelben Banner, das zwei Demonstranten tragen. Sie fordern eine Wiedereinführung der Vermögensteuer, deren Abschaffung den früheren Investmentbanker in den Augen vieler Franzosen zum "Präsident der Reichen" gemacht hat.
Macron: Vermögenssteuer kommt nicht zurück
Noch am Freitag hat Macron ein solches Zugeständnis kategorisch ausgeschlossen. Der 40-Jährige würde damit einen Teil seiner Wählerschaft verprellen. Dafür hat er all jene Wähler an die "Gelbwesten" verloren, die ihm sein Wahlkampfversprechen geglaubt haben, für mehr sozialen Ausgleich zu sorgen. "Macron ist ein Dieb", hat jemand auf das Schaufenster einer Bank gesprüht.
"Macron, wir kommen dich holen", skandiert eine Gruppe Demonstranten. Doch der Aufruf zu einem "Sturm" auf seinen Amtssitz, den Elysee-Palast, läuft ins Leere: Die Umgebung ist weitgehend abgeriegelt.
Deutlich weniger Menschen unterwegs
An der berühmten Pyramide vor dem Louvre sind deutlich weniger Menschen unterwegs als sonst, Richtung Concorde-Platz ziehen Menschen mit gelben Westen, Sirenen sind zu hören.
Michael und seine Tochter Rafaela sind aus Wien nach Paris gekommen und wollten sich die klassischen Pariser Sehenswürdigkeiten anschauen. "Jeder ist ein bisschen angespannt", sagt der 36-Jährige. "Aber wir machen uns nicht richtig Sorgen. Wir schauen uns um und weichen aus, wenn irgendetwas ist." Er bedauert nur, dass der Eiffelturm geschlossen ist, den seine Tochter gerne sehen wollte.
Geisterstadt
Auf den Grands Boulevards, wo sonst Horden von Einkäufern flanieren, herrscht gespenstische Leere. Dort sind erstmals blaue Panzerfahrzeuge der Militärpolizei im Einsatz und räumen eine brennende Barrikade weg.
Der 69 Jahre alte Pariser Gerard, der "wie jeden Samstag einen Cafe trinken will", ist perplex angesichts der massiven Polizeipräsenz: "Man könnte glauben, es herrscht Krieg - ich hätte nie gedacht, so etwas einmal in Paris zu erleben."
Französischer Premierminister setzt auf Dialog
Der französische Premierminister Edouard Philippe setzt auf Dialog mit den Demonstranten der sogenannten "Gelbwesten"-Bewegung. "Der Dialog hat begonnen und muss fortgesetzt werden", sagte Philippe am Samstagabend nach den jüngsten Ausschreitungen in Paris und anderen Städten. Präsident Emmanuel Macron werde sich äußern "und Maßnahmen vorschlagen, die diesem Dialog Nahrung geben" sollen.
Am Samstag, zum Auftakt des vierten Protestwochenendes gegen steigende Lebenshaltungskosten und die Politik Macrons, gingen nach Angaben von Innenminister Christophe Castaner landesweit rund 125.000 Menschen auf die Straße. Es habe 1385 Festnahmen gegeben. Die meiste Gewalt gab es in der Hauptstadt Paris. Dort wurden nach Angaben von Krankenhäusern 126 Verletzte behandelt.
Philippe dankte bei einem Besuch im Innenministerium den Sicherheitskräften. Die Beamten waren diesmal allein in der Hauptstadt mit einem Großaufgebot von 8000 Kräften im Einsatz. Landesweit waren insgesamt 89.000 Sicherheitskräfte auf den Straßen unterwegs.
Verkehr auf Pariser Ringautobahn blockiert
Proteste auch in Brüssel
Rund 500 Menschen seien bis vor die EU-Gebäude in der Innenstadt gezogen, die von der Polizei abgeriegelt worden seien, berichtete die Nachrichtenagentur Belga. Einem kleinen Teil der Gruppe sei es gelungen, die Barrikade zu durchbrechen. Dabei seien Flaschen und ein Wegweiser auf Polizisten geworfen worden. Diese hätten mit Tränengas reagiert.
Zeitgleich besetzten mehrere Hundert "Gelbwesten" einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt im Brüsseler Europaviertel. Die Polizei ging mit Wasserwerfern gegen die Straßenbesetzer vor. In kleinerem Umfang gab es auch in den Niederlanden Protestaktionen.