Am Sonntag soll in Israel Anklage gegen den 60-Jährigen erhoben werden.
Die Frauen tätowierten sich den Namen und das Konterfei ihres Gurus auf die Haut, per SMS informierten sie ihn über ihren Eisprung. Das allein kann den 60 Jahre alten Goel Razon aus Israel noch nicht ins Gefängnis bringen. Auch die Tatsache, dass er sich einen Harem aus mindestens 17 Frauen und 34 Kindern in heruntergekommenen Wohnungen hielt, könnte dem Mann noch als eigenwilliger Lebensstil ausgelegt werden. Doch die Polizei verdächtigt ihn schwerer Verbrechen: Sklaverei, Vergewaltigung und Inzest.
"Wirklich fürchterliche" Zustände
Seit Jänner
sitzt der Guru deshalb in Untersuchungshaft, am Sonntag will die
Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn erheben. Der Prozess soll aufklären,
was sich jahrelang in der sektenartigen Gemeinschaft in Israels Hauptstadt
Tel Aviv zutrug. Ein Polizeisprecher berichtet von "wirklich fürchterlichen"
Zuständen - Frauen und Kinder seien in verdreckten Wohnungen
zusammengepfercht gewesen. Der bärtige Guru habe mit seinen eigenen Töchtern
Kinder gezeugt. Seine Anhängerinnen hätten ihn mit Löffeln gefüttert, ihm
die schulterlangen, weißen Locken gekämmt und ihm sexuell jederzeit zur
Verfügung gestanden.
Razon selbst soll für sich in Anspruch genommen haben, über mehr als 30 Frauen und fast 100 Kinder in diversen Wohnungen geboten zu haben. Die Spekulationen heizen die öffentliche Debatte in Israel an und liefern reichlich Futter für Talkshows.
"Ich bin gut zu ihnen"
Wie es Razon gelang, unter den
Augen der Behörde lange Zeit so zu leben, bleibt ein Rätsel. Sicher ist
indes, dass sein Vorname übersetzt "Heiland" bedeutet - als solchen sahen
ihn die Frauen offenbar an. Der Guru selbst leugnet dies: "Ich bin nicht ihr
Messias, ich bin auch nicht ihr Heiland, ich bin nur gut zu ihnen", sagte er
im vergangenen Jahr in einem von wenigen Fernsehinterviews. In einer Doku
lieferte er eine Begründung für seine Beliebtheit: Er sei einfach "perfekt"
und er habe "all die Qualitäten, die Frauen wollen". Die Vorwürfe bestreitet
er allesamt.
Die Polizei ist von der Harmlosigkeit der Gemeinschaft aber gar nicht überzeugt: Als sie im Jänner den Harem auflöste und Razon festnahm, tat sie das lieber, während die Kinder in der Schule waren. Zu groß war die Angst, die Mütter könnten ihnen etwas antun.
Schreckens-Herrschaft
Razon führte offenbar ein knallhartes
Regiment. Nach Polizeiangaben überwachte er seine Jüngerinnen mit Kameras,
außerdem soll er Geld für Verstöße gegen die von ihm aufgestellten Regeln
verlangt haben. Nach diesen internen Gesetzen hatten sich die Frauen züchtig
zu kleiden; wer telefonieren wollte, musste um Erlaubnis fragen.
Dvora R. geriet vor viereinhalb Jahren in die Fänge Razons. Damals war sie 22 Jahre alt, unverheiratet und schwanger von einem anderen Mann. Vom ersten Tag an sei die Gemeinschaft des Gurus wie ein Gefängnis für sie gewesen. Sie habe aber nicht gewusst, wohin sie sonst gehen solle, sagt sie. Eine israelische Zeitung druckte ein Bild von ihr, auf dem sie mit einer "Goel"-Tätowierung im Nacken zu sehen ist, die unter ihrem schwarzen Rollkragenpullover hervorlugt.
Jagd auf junge Frauen
"Heute kann ich Jeans tragen, mit meinen
Eltern reden und mir einen Kaffee kaufen, ohne Goel um Erlaubnis zu bitten",
sagt R. Noch vor einem Monat sei das ganz anders gewesen, da habe sie ihm
noch per SMS ihre Ergebenheit versichert: "Ich möchte dich daran erinnern,
dass ich meinen Eisprung habe. Wenn möglich, würde ich dich gerne treffen
und Deinen Samen in meinem Schoß tragen. Deine Sklaven-Frau."
Ganz Israel fragt sich nun, welche Faszination wohl von dem 60-Jährigen ausging. Die Eltern zweier Harems-Frauen stellten auf eigene Faust Nachforschungen an. Sie heuerten den Detektiv Ascher Wisman an, um ihre Töchter aus den Fängen des Gurus zu befreien. Der Privatermittler sagte, dass Razon Jagd auf junge Frauen in Not gemacht habe.
Faszinierender Mann
Wisman habe eine Spionin in die Guru-WG
geschickt, die von einem erschütternden Erlebnis mit Razon berichtet habe:
"Er schaute ihr in die Augen, und sie dachte, dass sie die Kontrolle
verliert - es war eine Art Hypnose." Nicht alle Frauen sehen die Zeit
mit dem Guru so negativ wie Dvora R. Die 30 Jahre alte Schari H. lebte elf
Jahre bei dem Guru. Sie beschrieb ihn in einem Fernsehinterview als
faszinierenden Mann. Die Maschinenbauerin verdiente für ihn Geld als
Putzfrau und trug das hochgeschlossene Gewand, das er ihr vorschrieb. Auf
Nachfrage räumte sie aber ein, dass ihr Lebensstil als "Versklavung"
bezeichnet werden könne.
Das zwiespältige Verhältnis zu dem Guru beschreibt auch Dvora R. Damals, im Krankenhaus, habe sie ihn kennengelernt, kurz bevor sie das uneheliche Kind geboren habe. Er habe die Frau im Nachbarbett besucht. "Von diesem Moment an wollte ich ihn, ich sehnte mich nach Wärme und Liebe", sagt die enttäuschte Anhängerin heute. "Er stellte all das dar, was ich nie hatte."