Zum planmäßigen Ende der Wartungsarbeiten der Gaspipeline Nord Stream 1 deutet einiges darauf hin, dass am Donnerstag wieder Gas aus Russland fließt.
Letzte Sicherheit auch über die Menge gibt es aber weiterhin nicht - dafür Notfallpläne aus Brüssel und erneute Warnungen aus Moskau. Laut vorläufigen Daten des Netzbetreibers Gascade sind für Donnerstag ab 6.00 Uhr Gaslieferungen vorgemerkt. Gascade betreibt die beiden Empfangspunkte von Nord Stream 1 im vorpommerschen Lubmin.
Diese Vormerkungen - sogenannte Nominierungen - seien Voraussetzung, damit nennenswerte Mengen transportiert werden können, hatte eine Gascade-Sprecherin zuvor erklärt. Die Anmeldungen können sich demnach allerdings noch bis kurz vor der tatsächlichen Lieferung ändern.
Schon in der Nacht zum Mittwoch hatte Kremlchef Wladimir Putin Lieferungen auch nach der Wartung angedeutet. "Gazprom erfüllt seine Verpflichtungen, hat sie stets erfüllt und ist gewillt, weiterhin alle seine Verpflichtungen zu erfüllen", zitiert die russische Agentur Interfax Putin. Auch die Nord Stream AG hat bisher keine Verzögerungen oder mögliche Einschränkungen der Kapazität an den Markt gemeldet, wozu sie nach eigenen Angaben verpflichtet wäre. Die Bundesregierung forderte eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen in vollem Umfang.
Reduzierte Liefermenge
Eine Prognose über die Liefermenge blieb im Vorfeld schwierig. Die zunächst angekündigte Menge sei vom russischen Gasunternehmen Gazprom geändert worden, twitterte der Chef der deutschen Bundesnetzagentur, Klaus Müller am Mittwochabend. Demnach seien zunächst 800 und später nur noch 530 Gigawattstunden für Donnerstag vorgemerkt gewesen. Das wäre laut Müller eine etwa 30-prozentige Auslastung. Zuletzt wurde die Pipeline vor der Wartung zu etwa 40 Prozent ausgelastet. Gazprom hatte die Lieferungen gedrosselt und dies mit einer fehlenden Turbine begründet, die zur Reparatur nach Kanada geschickt worden war.
Im Fall eines Gasnotstands sollen EU-Staaten nach dem Willen der Europäischen Kommission zum Gassparen gezwungen werden können. Konkret schlug die Brüsseler Behörde am Mittwoch vor, dass verbindliche Reduktionsziele möglich sein sollen, wenn nicht genug gespart wird. Freiwillig sollen die EU-Länder alles dafür tun, ihren Verbrauch in den kommenden Monaten um 15 Prozent im Vergleich zum Schnitt der vorangegangenen fünf Jahre zu verringern. Die EU-Staaten müssen dem Vorhaben noch zustimmen.
Von der Leyen: Lieferstopp "Wahrscheinlich"
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält nach eigener Aussage einen kompletten Lieferstopp von Gas aus Russland in die Europäische Union für wahrscheinlich. "Wir müssen uns auf eine vollständige Unterbrechung der russischen Gasversorgung vorbereiten." Bereits zwölf EU-Länder würden gar nicht mehr oder nur eingeschränkt von Russland mit Gas beliefert würden. "Russland erpresst uns, Russland setzt Energie als Waffe ein."
Putin drohte in der Nacht zum Mittwoch mit einem weiteren Absenken der Liefermenge. Sollte Russland die in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalten, drohe Ende Juli die Durchlasskapazität nochmals deutlich zu fallen. "Dann gibt es nur 30 Millionen Kubikmeter am Tag." Die Pipeline kann pro Tag theoretisch mehr als 167 Millionen Kubikmeter transportieren. Die Turbine wurde wegen der westlichen Sanktionen infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine lange zurückgehalten. Zuletzt hatte Kanada entschieden, die Turbine an Deutschland zu übergeben.
Nord Stream 2
Der Kremlchef brachte erneut die weitgehend parallel verlaufende, fertiggestellte, aber nicht betriebene Pipeline Nord Stream 2 ins Spiel. "Wir haben noch eine fertige Trasse - das ist Nord Stream 2. Die können wir in Betrieb nehmen", zitiert ihn die staatliche russischen Nachrichtenagentur Tass. Er hatte schon in der Vergangenheit erklärt, der Betrieb von Nord Stream 2 könnte die Gaspreise senken. Nach der russischen Invasion in die Ukraine setzte Deutschland das Genehmigungsverfahren für den Betrieb der Leitung aus.
Denkbar wäre, dass Moskau die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 durch die Drosselung von Nord Stream 1 erzwingen will. Politiker aus den Reihen der Berliner Ampel-Koalition sprachen unter anderem von einem "plumpen Erpressungsversuch". Auch von der deutschen Bundesnetzagentur und von der Leyen kamen Absagen.