Damit sollen unter anderem die Ernteeinbußen aus der Ukraine kompensiert werden, so Köstinger am Montag vor einem Treffen mit ihren EU-Amtskollegen in Brüssel.
Brüssel. Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) hat sich angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine für die Freigabe von stillgelegten Flächen in der EU für die Lebensmittelproduktion ausgesprochen. Damit sollen unter anderem die Ernteeinbußen aus der Ukraine kompensiert werden, so Köstinger am Montag vor einem Treffen mit ihren EU-Amtskollegen in Brüssel. Die Ukraine gilt als "Kornkammer Europas" und ist einer der größten Weizenexporteure der Welt.
Die EU-Kommission habe dazu schon einen Vorschlag vorgelegt, erklärte Köstinger weiter. Aktuell muss im Rahmen der EU-Agrarpolitik ein bestimmter Anteil an Fläche stillgelegt werden, dieser soll nun laut Ministerin für den Anbau freigegeben werden. Es würde vier Millionen Hektar in der EU betreffen, in Österreich würden rund 9.000 Hektar an zusätzlicher Anbaufläche bereitstehen, so die Landwirtschaftsministerin.
Damit soll aber nicht nur die Versorgungssicherheit in Europa gesichert werden. "Das World Food Programm nutzt vor allem in der Westukraine massiv Agrarflächen, um dort Lebensmittelproduktion für Nordafrika zu betreiben", sagte Köstinger. Man müsse also davon ausgehen, dass auch für die Lebensmittelhilfe Getreide fehle.
Weizenversorgung bereitet Sorgen
Sorgen bereitet vor allem die Weizenversorgung. Seit der russischen Invasion in der Ukraine sind die Weizenpreise auf den Future-Märkten um 70 Prozent gestiegen. Durch den Ukraine-Krieg könnten in der laufenden und der kommenden Saison insgesamt bis zu 25 Millionen Tonnen Weizen fehlen, schätzt die EU-Kommission.
Die Lebensmittelversorgung in der EU sei derzeit nicht gefährdet, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Papier der EU-Kommission. Bei Weizen und Gerste sei die EU ein bedeutender Exporteur, während bei Mais und Zucker genug für den eigenen Verbrauch produziert werde. Auch bei Milchprodukten und Fleisch reiche die Erzeugung für den eigenen Bedarf aus.
Dem Papier zufolge will die EU-Kommission auch ein Unterstützungspaket für Bauern mit einem Umfang von 500 Mio. Euro vorschlagen. Mitgliedsstaaten können ihre Bauern dann zusätzlich finanziell unterstützen oder Direktzahlungen vorziehen. Ausnahmsweise und zeitlich begrenzt soll auch die Nutzung von Brachflächen erlaubt werden, ohne dass Subventionen deswegen gekürzt werden müssen.
Österreich legt Eiweiß-Initiative vor
Um die Versorgungssicherheit weiter zu steigern, legte Österreich eine Initiative für eine europäische Eiweißstrategie vor. "Wir sind sehr abhängig von Eiweißimporten weltweit", so die Landwirtschaftsministerin. Dabei spiele auch die Ukraine eine "zentrale Rolle, Soja- und Rapsimporte werden in nächster Zeit fehlen", europäische Landwirte müssten stärker Eiweiß anbauen. Der österreichische Vorschlag stoße auf "offene Ohren", mittlerweile unterstützen 20 Mitgliedstaaten diese Initiative, betonte Köstinger.
Zudem seien Betriebsmittel einer "enormen Teuerung" ausgesetzt, auch Düngemittel werden fehlen, sagte Köstinger weiter. Russland ist der wichtigste Brennstofflieferant der EU und stellt etwa 30 Prozent der Düngemittelimporte in die EU. Strategien zur Kompensation seien Gegenstand der Beratungen der EU-Staaten, die EU-Kommission müsse Alternativen vorlegen, so die Landwirtschaftsministerin. "Europa wäre gut beraten, auch im Bereich der Betriebsmittel wieder selber zu produzieren", forderte Köstinger.
Die NEOS begrüßen es, stillgelegte Brachflächen für die Produktion freizugeben, allerdings: "Um die Balance zwischen biodiversitätsfördernder Bewirtschaftung und Versorgungssicherheit zu gewährleisten, schlagen wir vor, nur die fünf Prozent der Biodiversitätsflächen im Ackerland zur Produktion freizugeben, die Biodiversitätsflächen im Grünland aber weiterhin bestehen zu lassen", teilte NEOS-Landwirtschaftssprecherin Karin Doppelbauer in einer Aussendung mit. Diese Maßnahme alleine sei jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es sollten auch weniger Lebensmittel verschwendet werden.
Kritik seitens des grünen EU-Abgeordneten
Kritik kam seitens des grünen EU-Abgeordneten Thomas Waitz und der Umweltschutzorganisation Global 2000. "Wir brauchen nicht mehr Anbaugebiete, giftige Pestizide in unseren Lebensmittel oder Kunstdünger in unseren Böden, sondern müssen unsere Flächen anders nutzen: Getreide auf den Teller, statt in den Tank und die Fleischproduktion", so Waitz in einer Aussendung. "Wir brauchen eine Agrarwende für eine langfristige Versorgungssicherheit und die geht nur mit einer kleinteiligen Landwirtschaft und regionaler Lebensmittelproduktion im Einklang mit der Natur."
Die ungenützten Flächen seien Rückzugsorte für Bienen, Insekten und Vögel und würden damit einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung des Artensterbens beitragen, schrieb Global 2000 in einer Mitteilung. Diese Flächen nun zur Nutzung freizugeben, würde sich langfristig negativ auf Ernährungssicherheit, Biodiversität und das Klima auswirken. Das sei, "als zünde man sein Haus an, weil einem kalt ist", sagte Helmut Burtscher-Schaden von Global 2000. Eine sinnvollere Sofortmaßnahme sei es, die Futtermittel- und Agrartreibstoffproduktion zurückzufahren.
Bauernbund-Präsident Georg Strasser sieht das anders als die Umweltschützer. "Angesichts des Ukraine-Krieges und dessen Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung müssen wir krisenbedingt alle verfügbaren Flächen nutzen, um die fehlende Produktion in Osteuropa zu kompensieren", sagte er laut Aussendung. "Die Entscheidung über den Anbau von Getreide, Mais, Sojabohne oder Sonnenblumen und somit auch über die nächste Ernte fällt jetzt im März. Es braucht rasch Planungssicherheit für die Bäuerinnen und Bauern, in zwei Wochen brauchen wir nicht mehr diskutieren, was wir anbauen sollen."