Während die Menschen im Erdbebengebiet ums Überleben kämpfen, erschüttern weiterhin starke Nachbeben die Region.
Für die kommenden Tage erwartet der türkische Katastrophenschutz Afad Erdstöße mit einer Stärke von mehr als 5.
Etwa alle vier Minuten gebe es in der Region ein Nachbeben, sagte der Afad-Geschäftsführer für Risikominderung, Orhan Tatar,
der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Bisher habe es mehr als 4.700 Nachbeben gegeben.
Mehr als 84.000 Gebäude in der Türkei sind eingestürzt oder stark beschädigt, wie der Minister für Stadtplanung, Murat Kurum, am Freitag mitteilte. Auch in Syrien sind Tausende Häuser zerstört. In den Erdbebengebieten warnen Behörden die Menschen deshalb noch immer davor, in ihre Häuser zurückzukehren.
Zahlreiche Orte ohne Trinkwasser
In der Türkei gibt es mancherorts wegen der Zerstörung bereits kein Trinkwasser mehr, wie der Chef der Ärztekammer (TTB) im südtürkischen Adana, Selahattin Mentes, sagte. Betroffen sei etwa der Bezirk Nurdag in Gaziantep. Anderswo könne das Leitungswasser womöglich durch Vermischung mit der Kanalisation verseucht sein. "Wir brauchen dringend Zugang zu sauberem Trinkwasser in der Region und müssen Hygiene herstellen. Außerdem muss der Müll entsorgt werden." Andernfalls drohten Infektionskrankheiten wie Cholera.
Aus der Türkei gibt es auch elf Tage nach dem Beben weiterhin aufsehenerregende Berichte über Rettungen. Helfer in der türkischen Stadt Antakya hätten zwei Verschüttete nach 261 Stunden aus den Trümmern geholt, berichtete der staatsnahe Sender CNN Türk.
Einer der beiden jungen Männer bestand nach Angaben des türkischen Gesundheitsministers Fahrettin Koca gleich nach seiner Befreiung darauf, mit einem Angehörigen zu telefonieren. Auf einem Video war zu sehen, wie ein Angerufener am Telefon in Tränen ausbrach, als er von dem Geretteten hörte.
Laut Anadolu wurde in Hatay sogar ein Mann nach 278 Stunden gerettet. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Zanische TV-Ansprache von Syriens Präsident Bashar al-Assad
Syriens Präsident Bashar al-Assad ließ unterdessen in einer zynischen Fernsehansprache verlauten, die Folgen des Krieges im Land hätten die Bevölkerung auf die Erdbeben vorbereitet. "Der Krieg, der Ressourcen erschöpfte und Fähigkeiten schwächte, hat der syrischen Gesellschaft die Erfahrung gegeben, um mit dem Erdbeben umzugehen."
Syriens Machthaber geht in dem Konflikt brutal gegen die eigene Bevölkerung vor. Ihm werden etwa Verbrechen gegen die Menschlichkeit angelastet, darunter der Einsatz von Chemiewaffen. Der Krieg brach 2011 aus. Mehr als 350.000 Menschen starben bisher.
In Syrien kamen nach Angaben der EU-Kommission am Freitag die ersten EU-Hilfen an. Güter wie Betten oder Unterkünfte sollen an Regionen gehen, die nicht von der syrischen Regierung kontrolliert werden. Sie kamen per Flieger zunächst im Libanon und der Türkei an und sollten von dort aus weiter nach Syrien gebracht werden. Auch winterfeste Zelte, Heizgeräte und Hygieneartikel will die EU noch liefern. Auch der Türkei wurden der Kommission zufolge bereits Millionen von Hilfsgütern zur Verfügung gestellt.
Die internationale Erdbebenhilfe kann dabei mitunter auch noch einen weiteren positiven Zweck erfüllen, wie das Beispiel Griechenland zeigt: Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hofft dank der Unterstützung seines Landes für die türkische Erdbebenregion auf Entspannung zwischen den beiden Nachbarländern. Athen und Ankara streiten sich um Hoheitsrechte und Erdgasvorkommen in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer. In den vergangenen Monaten hatte die Türkei wiederholt mit einer Invasion auf griechische Inseln gedroht.
Vor über einer Woche hatte ein Beben der Stärke 7,7 die Südosttürkei erschüttert, Stunden später folgte ein zweites schweres Beben der Stärke 7,6. Die Zahl der bestätigten Toten in der Türkei und Syrien steigt immer noch - am Freitag lag sie bei mehr als 45.000. In der Türkei erhöhte sie sich auf 39.672 Tote, wie der türkische Innenminister Süleyman Soylu am Freitagabend laut Anadolu mitteilte. In Syrien wurden mindestens 5.900 Tote gemeldet, die Zahl wird jedoch nur unregelmäßig aktualisiert. Zehntausende wurden zudem verletzt, Tausende gelten noch als vermisst. Millionen sind von den Auswirkungen der heftigen Erdstöße betroffen.