D-day +1:

So waren die ersten 24 Stunden nach dem Tod der Queen in London

Teilen

Nach dem Tod der Queen ist London im Ausnahmezustand. oe24 ist vor Ort und berichtet über den Alltag in der sonst so pulsierenden Stadt. 

Donnerstag, 22:30 Uhr: Egal ob wochentags oder am Wochenende, morgens, abends oder irgendwann dazwischen: London ist normalerweise immer laut, schnell und voller Leben. Wenn es ruhig wird, ist das nie ein gutes Zeichen in der Hauptstadt. Am Donnerstagabend ist es vielerorts jedoch beinahe ganz still. Die Unruhe der ungewissen Nachmittagsstunden hat sich in Schockstarre gewandelt. Schon jetzt ist das Bild der Stadt ganz anders: Fast alle Bildschirme und großen Billboards projizieren keine Werbung mehr, sondern nur das Gesicht der Königin.

Freitag, 8 Uhr morgens: Die U-Bahnen sind nur marginal leerer als gewohnt, aber deutlich leiser. Die Stimmung ist geteilt: Manche Engländer haben den Tag wie gewohnt begangen und versuchen die Aufruhr auszublenden. Viele andere tragen dunkle Farben oder das Lila des Platinum-Jubiläums, in den Businessvierteln sind zahlreiche schwarze Krawatten zu sehen.

12 Uhr, Innenstadt: Bei einem Blumengeschäft in der Nähe des Buckingham Palastes hat sich eine Schlange gebildet. Doch fast alle Schnittblumen sind schon von anderen Trauernden in den sogenannten "Green Park" oder vor die Gates des Palastes getragen worden. Am Picadilly Square wuseln normalerweise die Touristen, heute stehen sie still und fotografieren ein riesiges Bild von Elizabeth. Fortnum & Mason, einer der bekanntesten Department Stores des Landes, hat seine Schaufenster geschwärzt, die Mitarbeiter an der Eingangstür tragen schwarze Handschuhe. Die Menschenmenge verweilt hier heute nicht lange, sie wandert zum Palast. Minutenlang sind Glocken zu hören.

14:20 Uhr: In einem Pub unweit des Palastes sieht man weinende Gesichter an mehreren Tischen. Auf zwei großen Fernsehbildschirmen läuft die BBC, König Charles III. ist am Palast eingetroffen und grüßt die Trauernden. Vereinzelt wird "God Save The King" angestimmt. Im Pub ist die Stimmung gedrückt, es wird über die Zukunft des Landes diskutiert. Inmitten der Unsicherheit um die Energiepreise und der neuen Premierministerin (die von der Queen am Dienstag noch persönlich bestellt wurde!), ist deutliche Unsicherheit zu spüren.

15:00 Uhr: Auf der "Mall", der roten Prachtstraße vor dem Palast, spazieren immer noch Hunderte, um der Königin ihren Tribut zu zollen. Viele haben Hunde gebracht: "Sie würde sie sehen wollen", erzählt eine Frau, die vier Corgis bei sich hat. Begleitet wird der Trauerzug von einem Dutzend Kamerazelten und unzählbaren mobilen Nachrichtenteams aus der ganzen Welt. An einer Ecke schreibt ein Vater mit seiner kleinen Tochter einen Abschiedsbrief an die Königin, unweit daneben tauscht eine Gruppe, die sich gerade erst kennengelernt hat, persönliche Erinnerungen aus.

20:30 Uhr, Soho: Die Bars und Restaurants im Zentrum sind randvoll, die Jungen lassen sich die Feierlaune am Freitagabend nicht nehmen. Aber auch hier ist die Queen Gesprächsthema. Den ganzen Tag über zeigte sich in London, was die Königin für viele Engländer so besonders machte: Zahllose Menschen haben sie getroffen, sie alle hatten das Gefühl, die Queen zu kennen. Und was noch viel wichtiger ist: Sie hatten das Gefühl, dass die Queen sie auch kennt. Elizabeth war für viele, mit denen ich gesprochen habe, ein Anker, ein moralischer Kompass, ein Trost. Und das für 70 Jahre. Und auch nach ihrem Tod bringt sie die Menschen zusammen.

Für viele Engländer ist das ein Tag wie jeder andere. Doch andere trauern öffentlich um das Ende einer Ära. Sie verabschieden sich nicht nur von ihrer Monarchin. Man hat das Gefühl, tausende Engländer haben gleichzeitig ihre eigene Großmutter verloren. Und in gewisser Weise scheint das zu stimmen.
  

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.