Frankreich

Sonnentempler-Morde werden neu untersucht

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1995 wurden nahe Grenoble 16 Leichen kreisförmig angeordnet gefunden. Nun wird der Fall noch einmal aufgerollt.

Kreisförmig angeordnet lagen sie auf einer Lichtung im Südosten Frankreichs: Ende 1995 wurden in den Bergen nahe Grenoble die Leichen von 16 Mitgliedern der Sonnentempler-Sekte gefunden. Gut zehn Jahre später wird das tödliche Ritual noch einmal untersucht. Ein Berufungsgericht in Grenoble prüft ab Dienstag, inwieweit der Schweizer Dirigent Michel Tabachnik für den Tod der Sektenjünger mitverantwortlich ist. Er habe mit seinen finsteren Reden den Bluttaten das Wort geredet, argumentierte die Staatsanwaltschaft im ersten Prozess vor fünf Jahren. Die Richter sahen dafür damals keine ausreichenden Beweise und sprachen Tabachnik frei.

Verkohlte Leichen mit Kopfschüssen
Die Staatsanwaltschaft hatte beim Prozess 2001 dem Schweizer Mitverantwortung für insgesamt 74 Ritualmorde vorgeworfen, die zwischen 1994 und 1997 in der Schweiz, in Kanada und Frankreich begangen worden waren. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand jedoch der Tod von 16 Sonnentemplern in Frankreich. Deren verkohlte Leichen waren im nahe Grenoble gelegenen Vercors-Massiv entdeckt worden, im Kreis liegend auf einer Lichtung im so genannten Höllenloch. Ein kollektiver Selbstmord war dies offenbar nicht. Gerichtsmediziner stellten fest, dass 14 der Opfer unter starkem Medikamenteneinfluss standen, als sie mit Pistolenschüssen in den Kopf getötet wurden. Auch vor zwei Kindern im Alter von vier und sechs Jahren hatten die Sektenanhänger nicht Halt gemacht.

"Selbstmörderische Dynamik" ausgelöst
Der heute 63-jährige Tabachnik unterhielt jahrelang enge Kontakte zum Sonnentempler-Sektenchef Joseph Di Mambro. Bei einem Vortrag vor Sonnentemplern sprach er im September 1994 in finsteren Andeutungen von einer "unumkehrbaren Etappe bei der Rückkehr zum Vater". Die Sonnentempler müssten dafür "das menschlich nicht Hinnehmbare akzeptieren". Die Staatsanwaltschaft warf ihm später vor, durch seine Reden und Schriften unter den Sektenjüngern eine " selbstmörderische Dynamik" ausgelöst zu haben. Dafür und für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung habe er fünf Jahre Haft verdient.

Hauptverantwortliche verübten Selbstmord
Tabachnik, der bis Anfang der achtziger Jahre das Philharmonie-Orchester von Metz leitete und dann als freier Dirigent arbeitete, ist der Einzige, der je wegen der Bluttaten der Sonnentempler vor Gericht stand. Die mutmaßlichen Hauptverantwortlichen, Sektenchef Di Mambro und sein Prediger Luc Jouret, nahmen sich im Oktober 1994 in der Schweiz das Leben. Der Berufungsprozess gegen Tabachnik wurde immer wieder verschoben, unter anderem wegen eines Verfahrens gegen den Gutachter Jean-Marie Abgrall, dessen Expertise im Sonnentempler-Prozess eine zentrale Rolle spielte. Einige Hinterbliebene der Sektenopfer warfen ihm Verletzung des Berufsgeheimnisses und der Prozessordnung vor.

"Elite mit Wiederauferstehungs-Mission"
Mit dem Berufungsprozess in Grenoble wird möglicherweise das letzte Kapitel der Sonnentempler geschrieben. In diesem "Orden" hatte sich seit den fünfziger Jahren eine selbst ernannte "Elite mit Wiederauferstehungs-Mission" zusammengefunden. Sektenchef Di Mambro lebte jahrzehntelang gut auf Kosten seiner zumeist begüterten, aber seelisch verunsicherten Anhängern - bis er sie in den Untergang führte.

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