Spaniens Justizbeamte und Richter gehen auf die Barrikaden. Sie legen die Arbeit nieder - aus Protest gegen ein Skandal-Urteil im Fall Mari Luz.
Der Mord an der kleinen Mari Luz vor neun Monaten schlägt in Spanien immer höhere Wellen. Zuerst war herausgekommen, dass der mutmaßliche Mörder des fünfjährigen Mädchens eigentlich hätte in Haft sitzen müssen, sich aber infolge einer Justizpanne auf freiem Fuß befand. Die spanische Regierung forderte harte Strafen für die Justizbeamten, die für die Panne verantwortlich waren. Nun folgte auf den Justizskandal eine Protestaktion, die in der jüngeren spanischen Geschichte ohne Beispiel ist. Richter und Justizangestellte legten am Dienstag die Arbeit nieder und damit einen großen Teil der Gerichte lahm.
Gerichte überlastet
Zahllose Prozesse in ganz Spanien
mussten abgesagt werden. Die Streikenden protestierten dagegen, dass eine
Justizbeamtin für die Panne im Mordfall Mari Luz verantwortlich gemacht und
für zwei Jahre vom Dienst suspendiert worden war. Sie sehen die eigentliche
Ursache des Justizirrtums darin, dass die spanischen Gerichte chronisch
überlastet sind und die Juristen in einer Flut von Akten untergehen.
Kinderschänder war der Mörder
Die kleine Mari Luz, ein
Mädchen mit dunklen Augen und schwarzen Locken, war im Jänner in Huelva
spurlos verschwunden, als sie sich Kartoffelchips kaufen wollte. Nach fast
zweimonatiger Suche wurde ihre Leiche am Hafen der südspanischen Stadt
gefunden. Wenig später nahm die Polizei einen vorbestrafter Kinderschänder
als mutmaßlicher Mörder fest.
Richter vermutete Mörder hinter Gittern
Der 43-Jährige war
Ende 2005 wegen sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter rechtskräftig
zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Er befand sich jedoch auf freiem Fuß,
weil der zuständige Richter es versäumt hatte, den Vollzug der Haftstrafe
anzuordnen. Der Richter hatte irrtümlicherweise geglaubt, der Kinderschänder
befinde sich bereits im Gefängnis.
1.500 Euro Strafe für den Richter
Das Justizministerium
machte eine Beamtin in der Dienststelle des Richters für das Versehen
mitverantwortlich und suspendierte sie für zwei Jahre vom Dienst. Für die
Bestrafung des Richters war nicht das Ministerium, sondern der Allgemeine
Rat der rechtsprechenden Gewalt (CGPJ) zuständig. Dieses höchste
Richtergremium ließ es bei einer Geldstrafe von 1.500 Euro bewenden. Die
Entscheidung löste in der Bevölkerung eine Welle der Empörung aus. Sogar die
Regierung von Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero erhob ihren
Protest und verlangte, dass der Richter - ebenso wie seine Untergebene - vom
Dienst suspendiert werden müsse.
Angriff auf die Unabhängikeit der Justiz
Damit brachte die
Regierung jedoch weite Teile der Richterschaft gegen sich auf, die darin
einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz sah. "Ein Irrtum wie im
Fall Mari Luz kann in jedem spanischen Gericht passieren, denn die Richter
gehen in Arbeit unter", betonte der Jurist Ramon Llena vom Verband "Richter
für die Demokratie". Die Organisatoren der Protestaktion wiesen darauf hin,
dass es in Deutschland zum Beispiel - gemessen an der Bevölkerungszahl -
fast dreimal so viele Richter gebe wie in Spanien.
Kein Verständnis
Viele Spanier hatten jedoch wenig
Verständnis für die Protestaktion der Richter und Justizbeamten. Spaniens
Justiz steht nämlich in einem schlechten Ruf. Die Gerichte gelten als
langsam und schwerfällig. "Es ist ein Skandal, dass Richter und Beamte es
nicht hinnehmen wollen, dass die Verantwortlichen für die Justizpanne
bestraft werden", meinte die Zeitung "El Pais".
Der Vater von Mari Luz, Juan Jose Cortes, betonte: "Die Proteste sind nicht gerechtfertigt. Unter den Fehlern der Justizbeamten haben alle Bürger zu leiden." Cortes hatte dem Regierungschef kürzlich in dessen Amtssitz eine Sammlung mit 2,3 Millionen Unterschriften für eine härtere Bestrafung von Kinderschändern übergeben.