Italien ändert die Prozessordnung. Davon am meisten profitiert Premier Berlusconi. Korruptionsprozesse werden künftig auf Eis gelegt.
Wegen eines umstrittenen Gesetzesantrags der Regierungskoalition von Ministerpräsident Silvio Berlusconi steht in Italien die Aussetzung von rund 100.000 Prozessen bevor. Der Senat hatte am Mittwoch die Gesetzesänderung verabschiedet; der Antrag, der mit 160 Ja-Stimmen gegenüber elf Nein-Stimmen angenommen wurde, sieht vor, dass Verfahren für ein Jahr ruhen, die Tatbestände aus der Zeit vor Ende Juni 2002 betreffen.
Justiz soll Schwerpunkte setzen
Die Gesetzesänderung wurde im
Parlament von den Initiatoren der regierenden Mitte-Rechts-Allianz als
Möglichkeit zur Beschleunigung der Justizverfahren präsentiert. Die Gerichte
sollten sich auf Bereiche wie Organisierte Kriminalität und
Kapitalverbrechen konzentrieren, lautete die Argumentation.
Premier Berlusconi und sein früherer britischer Anwalt David Mills sind in Mailand derzeit unter anderem wegen Bestechung angeklagt. Berlusconi soll Mills 600.000 Dollar (387.272 Euro) für falsche Zeugenaussagen vor italienischen Gerichten bei zwei Prozessen Ende der 90er Jahre bezahlt haben. Der Mailänder Korruptionsprozess ist in die Endphase getreten.
Opposition übt scharfe Kritik
Die Opposition kritisierte
den Antrag im Parlament scharf. Die Senatoren der Demokratischen Partei (PD)
und der Formation "Italien der Werte" (IDV) des früheren Staatsanwalts
Antonio Di Pietro verließen vor der Abstimmung demonstrativ den Saal.
"Vielleicht gelingt es Berlusconi, durch das Gesetz um ein Urteil
herumzukommen, doch er hat eine große Gelegenheit verpasst, ein
konstruktiveres Klima mit der Justiz aufzubauen", sagte die
PD-Fraktionschefin im Senat, Anna Finocchiaro.
Der Gesetzesentwurf muss kommende Woche endgültig vom Senat angenommen werden, bevor er dem Abgeordnetenhaus zur Abstimmung übergeben wird. Bisher hat es Berlusconi in allen Prozessen, die gegen ihn liefen, verstanden, Haftstrafen abzuwenden. Fast ein halbes Dutzend Prozesse versandeten, weil Urteile von höheren Instanzen aufgehoben wurden. Einige Taten gelten mittlerweile auch als verjährt oder wurden mittels Gesetzesänderungen von jeglicher juristischer Verfolgung ausgenommen.
Seit seinem neuerlichen Amtsantritt als Ministerpräsident vor einem Monat hatte sich Berlusconi bemüht, ein Klima des Dialogs mit den Institutionen, darunter auch mit der Justiz, aufzubauen. Jetzt scheint dies wieder infrage gestellt. Oppositionschef Walter Veltroni kündigte Protestkundgebungen gegen den Medienunternehmer an, der nicht die alte Gewohnheit verloren habe, Gesetze zu seinem eigenen Nutzen über die Bühne zu bringen. Veltroni, Vorsitzender der oppositionellen Demokratischen Partei, drohte mit einem Ende der Dialogbereitschaft über verschiedene Reformen, falls die Regierung ihren Kurs nicht ändere.
Politik setzt Richterstand unter Druck
Vor einem neuen Krieg
zwischen Justiz und Berlusconi warnte noch am Mittwoch der Richterverband
ANM. Die jüngsten Angriffe des Regierungschefs gegen das Justizsystems seien
unannehmbar, kritisierte Verbandspräsident Luca Palamara bei einer
Pressekonferenz in Rom. Mit Einschüchterung, Verzögerungs- und
Sabotagetaktik wolle die Politik den Richterstand für die Prozesse gegen
Berlusconi bestrafen, betonten hochrangige Justizvertreter.
Laut dem Richterverband zielen die Reformpläne der römischen Regierung eindeutig darauf ab, die Rechtsprechung unter den Einfluss der Koalition zu stellen. Die Unabhängigkeit der Richter werde deutlich beschnitten. Die italienischen Richter hatten während Berlusconis früherer Amtszeit zwischen 2002 und 2006 wiederholt gegen ihn und eine von ihm vorangetrieben Justizreform gestreikt.