"Kindergipfel" im Berliner Kanzleramt: Der Besuch des Kinderaztes wird Pflicht sein. Die Politik reagiert auf die zahlreichen Misshandlungen.
Der regelmäßige Besuch beim Kinderarzt wird in Deutschland zur Pflicht, der Datenaustausch der zuständigen Behörden wird erleichtert: Mit einem breiten Maßnahmenkatalog wollen Bund und Länder gegen Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern vorgehen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verständigte sich am Mittwoch mit den Ministerpräsidenten auf entsprechende Schritte. Damit werde der Weg zu einer "Kultur des Hinsehens" geöffnet, sagte die Kanzlerin.
Kinderrechte nicht im Grundgesetz verankert
Keine Einigung gab
es über die Forderung von SPD-Chef Kurt Beck, Kinderrechte im Grundgesetz zu
verankern. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident kündigte am Abend im
AP-Gespräch an, er behalte sich vor, die Grundgesetzänderung als
Gesetzesinitiative über den Bundesrat einzubringen. Zunächst wolle er aber
noch um die Zustimmung der Unionsseite werben.
Merkel erklärte nach dem Treffen im Kanzleramt, die Länder hätten verabredet, über diese Frage noch einmal zu beraten. "Ich bin seit Jahren eigentlich sehr zurückhaltend, was Änderungen im Grundgesetz anbelangt", bekräftigte sie. "Ich sehe also im Augenblick den Handlungsbedarf in den praktischen Dingen."
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) räumte ein, dass es in dieser Frage unterschiedliche Auffassungen gebe. Aus seiner Sicht gelte: "Für Kinder ist es hilfreicher, wenn wir uns über Vorsorgeuntersuchungen unterhalten." Der Berliner Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) betonte dagegen, eine Grundgesetzänderung wäre nicht nur "abstrakte Juristerei", damit seien vielmehr "konkrete Handlungsaufträge" verbunden. Man hoffe, dass die CDU in dieser Frage noch umdenke.
Bessere Vernetzung der Behörden
Bund und Länder
verständigten sich konkret darauf, dass die Vernetzung zuständiger Behörden
ausgebaut und die Vorsorgeuntersuchungen erweitert werden sollen. Dazu wird
unter anderem eine zusätzliche Untersuchung im dritten Lebensjahr
eingeführt. Alle Eltern sollen verbindlich zu den Kontrollterminen
eingeladen werden. Reagieren die Familien nicht, sollen die
Gesundheitsbehörden und notfalls die Jugendämter aktiv werden.
Die Jugendämter und Familiengerichte sollen bei Problemfällen außerdem künftig schneller eingreifen. Finanzielle Sanktionen für Eltern, die sich hartnäckig verweigern, wurden aber mehrheitlich abgelehnt. Um den Datenabgleich zwischen Kommunen und zuständigen Behörden zu erleichtern, sollen Justizministerin Brigitte Zypries und Innenminister Wolfgang Schäuble mit den Ländern über eine Neuregelung des Datenschutzes reden.
Merkel: "Großer Erfolg"
Merkel wertete die
Vereinbarung als "großen Erfolg". Die Übereinkunft setze
Maßstäbe. Man sei sich angesichts der schrecklichen Ereignisse um
vernachlässigte und getötete Kinder einig, dass Risiken früher erkannt
werden müssten. Dazu solle ein "Netz der Hilfe" aufgebaut
werden, in dem Hebammen, Kinderärzte, Jugendämter und Polizei stärker
zusammenarbeiten.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte die Ergebnisse des "Kindergipfels" als enttäuschend. Nötig sei ein flächendeckendes Familien-Hebammen-System ebenso wie ein Ausbau der Elternbildung und der familienunterstützenden Angebote, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. "Offensiver Kinderschutz kommt nicht ohne zusätzliche Mittel aus."