Zwei Intellektuelle aus Estland und Litauen haben sich am Sonntag in einer Podiumsdiskussion im Akademietheater skeptisch zu wiederholt kolportierten militärischen Szenarien russischer Angriffe im Baltikum geäußert.
Die estnische Journalistin Maris Hellrand und der litauische Schriftsteller Laurynas Katkus machten aber auch deutlich, dass man in ihren Ländern alles unternehmen werde, um nicht wie zuletzt beim Hitler-Stalin-Pakt 1939 erneut auf die "Speisekarte" zu kommen.
Sowohl Hellrand als auch Katkus betonten bei der Diskussion im Rahmen der Reihe "Eine Bühne für Osteuropa", wie sehr die Annexion der Krim und der Krieg im ukrainischen Donbass seit 2014 und noch stärker der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit 2022 zur Militarisierung in ihren Gesellschaften geführt hatte. Der Literat aus Vilnius erzählte, dass er sich selbst 2014 als Reservist für die litauische Armee gemeldet hatte, die estnische Journalistin berichtete vom Wehrdienst ihrer Söhne und eigenen Plänen, einen "Drohnenkurs" zu absolvieren.
Bewahrung von sehr kleiner Kultur als Staatsräson
Sie wolle dabei nicht den Eindruck hinterlassen, dass die Esten ein kleines, militantes Volk wären, das besessen vom Krieg wäre, sagte Hellrand. "Unsere Staatsräson ist es, unsere sehr kleine Sprache und sehr kleine Kultur zu bewahren und zu beschützen. Wenn wir das nicht können, können wir aufgegeben", erklärte die Journalistin.
Heftige Kritik übte sie am seit wenigen Tagen diskutierten "Friedensdeal" zur Ukraine. "Das ist ein Echo des Hitler-Stalin-Pakts und wir wissen nicht, ob es geheime Zusatzprotokolle gibt und ob wir wieder auf der Speisenkarte sind", sagte die Estin mit Verweis auf jene Vereinbarung zwischen NS-Deutschland und der Sowjetunion, die 1940 zum Verlust der Eigenstaatlichkeit der drei baltischen Republiken geführt hatte.
Engagement für die Ukraine
"Solange die Ukraine an der Front kämpft, sind wir gewissermaßen von den schlimmsten Konsequenzen verschont", unterstrich ihr litauischer Kollege Katkus die Notwendigkeit, das seit 2014 von Russland angegriffene Land in seinem Abwehrkampf zu unterstützen. Er selbst habe merkwürdigerweise vor dem Krieg dieses Land nie besucht, sei nunmehr aber bereits einige Male in der Ukraine gewesen, um humanitäre Hilfe zu transportieren.
Eine unmittelbare Gefahr, dass Russland - wie in den letzten Jahren wiederholt medial erörtert - den sogenannten Suwałki-Korridor zwischen Polen und Litauen angreifen und derart militärisch eine Landbrücke zwischen der russischen Region Kaliningrad und Belarus herstellen könnte, sah der Litauer nicht. Er sei zwar kein Militärstratege, habe zuletzt jedoch über eine andere Variante gelesen. "Seit dem Eintritt Schwedens und Finnlands in NATO sollen sich die Russen eigentlich Sorgen über Kaliningrad machen", erzählte er. Das mit Suwałki würde indes höchstwahrscheinlich nicht klappen.
Fernsehlogik und Angriffsszenarios
Mit keinem Angriff auf die estnische Grenzstadt Narva rechnet auch die Estin Hellrand. Abgesehen davon, dass historische Angriffe im Südosten Estlands passiert seien und nicht im Norden. Dass Narva im Zusammenhang mit einem möglichen russischen Angriff in westlichen Medien immer wieder erwähnt würde, begründete sie mit der Szenerie.
"Die Stadt ist wahnsinnig attraktiv für das Fernsehen, wenn du mit einem Bild diesen Konflikt erzählt willst: Ein Grenzfluss, eine Brücke, ein breiter, schneller Fluss und auf beiden Seiten große historische alte Festungen", erklärte sie.