Gegen Erdogan

War türkische Armee in Putschpläne verwickelt?

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Die türkische Polizei hat ein Waffenlager der ultranationalistischen "Ergenekon" ausgehoben, 86 Mitglieder der Gruppe - unter ihnen drei Ex-Generäle - stehen vor Gericht.

Mit der jüngsten Festnahmewelle der türkischen Justiz gegen mutmaßliche Mitglieder einer Verschwörerbande ist möglicherweise ein Staatsstreich gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vereitelt worden. Konspirative Vorbereitungstreffen von aktiven und pensionierten Militärs seien von der Polizei heimlich gefilmt worden, meldete die unabhängige Zeitung "Taraf" am Freitag. Der Putschversuch sei für die kommenden Monate geplant gewesen.

Das Verhalten der Staatsanwaltschaft, die in dieser Woche drei Ex-Generäle, neun aktive Offiziere und fast 30 weitere Verdächtige festnehmen ließ, lässt die innenpolitischen Spannungen in der Türkei steigen und hat das Land tief gespalten: Die einen begrüßen die Festnahmen als Sieg des Rechtsstaates, die anderen sprechen von einer politisch motivierten Vendetta gegen Regierungsgegner. Oppositionschef Deniz Baykal verglich die Ereignisse sogar mit Hitlers Machtergreifung und der iranischen Revolution 1979.

Ex-Generäle sollen Putsch vorbereitet haben
Mit der jüngsten Razzia rückt insbesondere die Frage nach der Rolle der Militärs bei den vermuteten Umsturzplänen in den Vordergrund: Laut "Taraf" sollen zwei Ex-Generäle die Putschvorbereitungen geleitet haben. Im Haus eines Oberstleutnants wurden zudem 22 Handgranaten sichergestellt. Auch bei einem ebenfalls festgenommenen früheren Leiter von Polizei-Sondereinheiten fanden Ermittler ein Waffenlager.

Den Festgenommenen wird vorgeworfen, zu der "Ergenekon"-Bande zu gehören, einer rechtsgerichteten Gruppe, die versucht haben soll, Erdogan zu stürzen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass "Ergenekon" die Türkei durch Anschläge und Attentate destabilisieren und auf diese Weise einen Militärputsch provozieren wollte. In mehreren Wellen wurden seit einein halb Jahren über 100 Verdächtige festgenommen. Seit Oktober vergangenen Jahres läuft ein Prozess gegen mutmaßliche "Ergenekon"-Anführer, unter ihnen führende Nationalisten und ein Ex-General. Anklagen gegen zwei weitere ehemalige Generäle werden vorbereitet.

Skepsis gegen islamisch geprägten Erdogan
Die strikt säkuläre Armeeführung macht kein Geheimnis daraus, dass sie der islamisch geprägten Regierung Erdogan skeptisch gegenüber steht. Einige Generäle sollen bereits in den vergangenen Jahren einen Putsch gegen den Premier befürwortet haben, weil sie Erdogan für einen republikfeindlichen Islamisten halten.

Bisher hatte Generalstabschef Ilker Basbug die Festnahmen ehemaliger Kameraden hingenommen; seit langem gibt es Gerüchte, dass er sich mit Erdogan darauf verständigt hat, die "Ergenekon"-Ermittlungen unter der Bedingung zu dulden, dass sie nicht bis in die Armeespitze reichen. Doch jetzt ließ die Justiz sogar Ex-General Tuncer Kilinc festnehmen, der in seiner Dienstzeit als Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates in Ankara einer der mächtigsten Offiziere im Land war. Nach den neuen Festnahmen meldete sich Basbug überraschend bei Erdogan zu einem kurzfristig anberaumten Treffen. Regierungsnahe Medien berichteten, der Generalstabschef habe sich beim Premier über das Vorgehen gegen die Ex-Generäle beschwert.

Rachefeldzug Erdogans?
Da viele "Ergenekon"-Verdächtige Baykals säkulär-nationalistischer Partei CHP nahe stehen, sprechen regierungskritische Beobachter von einem Rachefeldzug Erdogans gegen unliebsame Kritiker. Ins Visier der Ermittler geraten ist auch der ehemalige Generalstaatsanwalt Sabih Kanadolgu, der führende Rechtsexperte der Säkularisten. Kanadoglu hatte unter anderem vor zwei Jahren die juristische Begründung für den Versuch der Erdogan-Gegner geliefert, die Wahl des damaligen Außenministers Abdullah Gül zum Staatspräsidenten zu verhindern. Güls Wahl wurde damals tatsächlich vorübergehend gestoppt, wenn am Ende auch nicht vereitelt.

Was bei den "Ergenekon"-Ermittlungen geschehe, sei "Staatsterror", schrieb der nationalistische Kolumnist Oktay Eksi. Dagegen merkte der liberale Leitartikler Hasan Cemal an, es sei wenig glaubwürdig, wenn dieselben Leute, die im Streit um Gül das Recht gebeugt hätten, nun lauthals die "Ergenekon"-Ermittlungen kritisierten. Zudem können Erdogans Gegner nicht so recht erklären, warum die weitgehend säkulär ausgerichtete Justiz plötzlich die Regierung bei einem politischen Feldzug unterstützen soll.

Was immer die wahren Hintergründe sein mögen: Mit den jüngsten Festnahmen ist der Fall "Ergenekon" endgültig zum Hauptkriegsschauplatz des Machtkampfes zwischen Erdogan und seinen säkulär-nationalistischen Gegnern geworden. Der Ausgang dieses Machtkampfes ist ebenso ungewiss das Ergebnis der "Ergenekon"-Ermittlungen.

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