Die ÖBB-Affäre um illegal erhobene Krankendaten zieht einem Bericht der Tageszeitung "Der Standard" immer weitere Kreise. Die Enthüllungen von Ex-Personalchef Franz Nigl belasten nun auch den Mitte-Rechts-Parteien nahe stehende ÖBB-Manager, die sich bei Personalentscheidungen nicht an der Zugrundelegung von illegal erhobenen Krankendaten gestoßen hätten.
Genannt werden Finanzchef Josef Halbmayr, Infrastruktur-Bau-AG-Finanzchef Gilbert Trattner, Infra-Betrieb-Chef Arnold Schiefer und Traktions-Personalchef Wolfgang Jicha. Halbmayr habe nichts gegen Formblätter gehabt, auf denen "Mittelohrentzündung, Zahnprobleme, Kieferoperation" oder "Gürtelrose" fanden, Trattner habe die Notiz einer "Entzündung der Halswirbelsäule" erhalten und Schiefer ein Stammblatt unterschrieben, auf dem als Krankenstandsgrund "psychische Erkrankung" angegeben war. Jicha habe Krampfadern und Bandscheiben-Operation vermerkt.
Die Zeitung schriebt weiter, dass die laut Datenschutzgesetz erforderliche Lösung der Krankendaten erst am 23. September gestoppt worden sei, fast zwei Wochen nach Auffliegen der Affäre. Grund sei eine Rechtsexpertise, wonach der Ist-Zustand bei einem Notar verwahrt werden solle, um den Vorwurf der Beweismittelunterdrückung zu entkräften.
Grüne sehen Jobabbau als Ursache
Der Sozialsprecher der Grünen, Karl Öllinger fordert eine "von unabhängigen Experten begleitete" Untersuchung der Affäre um illegal erfasste Diagnosedaten bei den ÖBB. Im Management wisse ein Manager nicht, was der andere tut oder er selbst getan hat, daher müsse Infrastrukturministerin Doris Bures (S) tätig werden, sagte Öllinger bei einer Pressekonferenz in Wien. Die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses sei derzeit - aus Kapazitätsgründen - nicht sinnvoll. Zunächst sollte die Ermittlungen der mittlerweile eingeschalteten Staatsanwaltschaft abgewartet werden.
Hauptgrund für die Probleme der ÖBB mit Krankenstanddaten sind nach Ansicht Öllingers die "exzessiven" und teilweise erzwungenen Frühpensionierungen, die es bei ÖBB, Telekom und Post seit den späten 90er Jahren gegeben habe. Laut einem Rechnungshofbericht von 2004 wurden zwischen 1998 und 2002 rund 7.800 Mitarbeiter frühpensioniert (im Schnitt rund 1.500 pro Jahr), 69 Prozent davon krankheitsbedingt. 2002 habe die schwarz-blaue Regierung diesen Umstand zwar skandalisiert, in der Folge sei das System aber genauso fortgesetzt und sogar noch ausgebaut worden. 2006 wurden 2.979 Mitarbeiter vorzeitig verabschiedet. Einziger Unterschied: Die Frühpensionierungen erfolgten zunehmend "betriebsbedingt", also weil die Mitarbeiter aus Umstrukturierungsgründen nicht mehr gebraucht wurden. Die ÖBB haben ein Problem mit Krankenständen, allerdings wegen der Frühpensionierungen, betonte Öllinger, das habe auch der Rechnungshof festgestellt.
Problematisch ist aus Sicht der Grünen der sorglose Umgang der ÖBB-Führung mit Krankenstanddaten generell. Nicht nur würden solche Zahlen weiter auf breite Verteiler geschickt, sondern auch mit falschen Angaben gearbeitet, sagte er mit verweis auf frühere Aussagen von Personalvorstand Franz Nigl. Dieser hatte 2007 erklärt, dass die Krankenstände bei den ÖBB nicht höher liegen als im Schnitt der ASVG-Versicherten, wenn man die vielen Fälle, in denen ältere Mitarbeiter, die anschließend gleich in den Ruhestand gehen, herausrechne. Nach Auffliegen der Affäre um die Diagnosedaten hatte das Bahnmanagement das "Fehlzeitenmanagement" mit den exorbitant hohen Krankenständen in den ÖBB verteidigt.
Öllinger fordert auch rasche Aufklärung darüber, welche Daten in den 10 Tagen zwischen 17. und 27. September gelöscht wurden sowie zur frage ob Boni für Krankenstandsenkungen bezahlt wurden. Wie berichtet hat der Grüne Sozialsprecher eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Unterdrückung von Beweismitteln eingebracht. Viele Mitarbeiter wüssten erst seit kurzem, dass im Unternehmen sensible Daten zu Krankenständen festgehalten wurden, die möglicherweise für Kündigungen, Versetzungen oder Frühpensionierungen relevant waren, so Öllinger. Die ÖBB haben die eigentlich illegalen Diagnose-Aufzeichnungen mittlerweile bei einem Notar hinterlegt.