Der Schweizer Soziologe und Politiker Jean Ziegler zeichnet ein düsteres Weltbild. "Es gibt auf diesem Planeten keinen objektiven Mangel mehr. Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wurde ermordet", erklärte Ziegler bei seiner Buchvorstellung "Der Hass auf den Westen" im Volkstheater.
Die Menschen im Süden sind gegen eine absurde, mörderische Weltordnung im Aufbruch. Deren verwundetes Gedächtnis entwickelt sich langsam zu Bewusstsein. Ich übernehme diese These von Elie Wiesel, der erklärte, dass wenn im Leben eines Menschen etwas Schlimmes passiere, die Vernunft gelähmt sei. Erst drei oder vier Generationen später, wird das verwundete Gedächtnis dann zu politischem Bewusstsein.
Bei den Völkern des Südens sind diese schlimmen Dinge unter anderem die Sklaverei oder die Kolonialmassaker. Die Sklaverei liegt 120 Jahre zurück und die Kolonialmassaker an Algerien haben in den 1960en stattgefunden. Heute wird dieses "verwundete Gedächtnis" zu "historischer Widerstandskraft" und es kommt zu einer "Renaissance der kollektiven Identität" und zu Forderungen nach Entschädigung und Entschuldigung.
Es ist eine neue historische Kraft bei den Völkern des Südens, wo mehr als zwei Drittel der Menschheit leben, zu entdecken. Man will mit der kannibalischen Weltordnung brechen. Die 500 größten Unternehmen der Welt produzierten 52 % des Weltbruttosozialproduktes. In 15 Jahren hat sich der Welthandel verdreifacht. 17 Mio. Kinder unter 10 Jahren werden Ende 2009 verhungert sein. Wir leben unter der Diktatur des globalisierten Finanzkapitals, das im Süden als letztes Unterdrückungssystem des Westens erlebt wird.
Die neoliberale Wahnidee hat alle vergiftet - sogar die europäische Sozialdemokratie. Der nun wachsende Hass der Armen und Entrechteten auf den Westen lähmt nicht nur die Vereinten Nationen, sondern blockiert auch internationale Verhandlungen. Wenn wir verstehen, welche traumatischen Verletzungen Kolonialismus, Sklaverei und Ausbeutung, verbunden mit Arroganz und moralischer Überheblichkeit, im kollektiven Gedächtnis dieser Völker hinterlassen haben, wird es gelingen, den Hass durch konkretes Handeln zu überwinden.