"Big Brother" feiert zehnjähriges Jubiläum

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Der Sieger bekommt 250.000 Euro, die Show dauert 148 Tage, jeden Tag um 19 Uhr ist die Zusammenfassung auf RTL II zu sehen, die Wochenshows werden montags um 21.15 Uhr von Aleksandra Bechtel moderiert - mehr wollen RTL II und der Fernsehproduzent über die 10. Staffel der Fernsehdauerwurst "Big Brother" im Vorfeld nicht verbreiten.

Begründung: Die Kandidaten sollten gegenseitig nichts von sich erfahren. Spannung soll erzeugt werden vor dem Sendestart an diesem Montag, auch wenn "Big Brother" längst Alltag in der Medienwelt geworden ist und sich kaum noch irgendjemand über die Vorgänge im Container aufregt .

"Big Brother" ist jetzt fast 10 Jahre alt. Am 28. Februar 2000 bevölkerten die ersten 10 Mitspieler der deutschen Version das Kölner Fernsehhaus, das rund um die Uhr und in fast allen Ecken von Kameras überwacht wird. Das waren Menschen wie Jürgen, Zlatko, John, Kerstin und Alex - eine namenlose zusammengewürfelte Gesellschaft aus Leuten wie Du und ich, bloß mit dem Unterschied, dass sie alle Zeit der Welt hatten, um sich auf dem Bildschirm dem Spott der Nation hinzugeben. 250.000 D-Mark betrug damals die Gewinnsumme, die Moderation hatte Percy Hoven, ein Name, der genauso wie die Außenreporterin Sophie Rosentreter längst in Vergessenheit geraten ist.

Rund um die Deutschland-Premiere des aus Holland stammenden TV-Formats entfachte sich jedoch ein Wirbel, wie ihn der Fernsehmarkt bis dahin kaum erlebt hatte. "Big Brother kommt - Psycho-Folter oder Fernsehen von morgen?", fragte die Programmzeitschrift "TV Spielfilm" damals; "Fernsehen für Spanner oder reiner Spaß?", wollte "TV direkt" wissen; "Zwei Drittel gegen Big Brother", wusste "Die Welt" zu berichten. Der Zuschauer-Erfolg der Show hatte sogar Folgen für die Finanzmärkte: "TV-Experiment "Big Brother" macht Endemol zum Börsenliebling", lautete die Überschrift im "Handelsblatt". "Sex bei Big Brother - Alex strahlte wie Bill Clinton", schrieb "Bild" nach dem ersten Liebesakt; das war im März 2000, Beteiligte waren Kerstin Klinz und Alexander Johlig.

Bald fühlten sich die Politiker alarmiert. Viele forderten eine Absetzung der Show. Die deutschen Medienwächter setzten unter öffentlich-rechtlichem Druck schließlich eine tägliche "Freistunde" durch, in der sich die von der Außenwelt abgeschotteten Kandidaten ohne Kameraüberwachung zurückziehen konnten. Andere Politiker suchten aber die Nähe des Erfolges, um selber davon zu profitieren: FDP-Politiker Guido Westerwelle vertrieb sich öffentlichkeitswirksam etwas Zeit im Container, gleiches gilt für Entertainerin Verona Pooth, die damals noch Feldbusch hieß und sich eine eigene Toilette installieren ließ.

Doch schon in der zweiten Staffel ebbte das Geschrei und Gezeter ab. Mittlerweile hat das Internet längst die "Big Brother"-Realität überholt: Es ist offen für eben die Spanner und Voyeure, die sich damals in der TV-Steinzeit im Jahr 2000 die Nase am Bildschirm platt drückten. Aber in der Fernsehlandschaft hat "Big Brother" für einen Schub gesorgt: Womöglich hätte es nie Sendereihen wie "Die Alm" oder "Die Burg" (ProSieben) gegeben, vielleicht auch nicht das RTL-Dschungelcamp "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" - doch diese Frage wird nie ganz zu klären sein.

"Big Brother" brachte ORF vor zehn Jahren in Reality-Zugzwang

Ein Megatrend war geboren, als vor zehn Jahren die erste Staffel der Reality-Show "Big Brother" on Air ging. Die freiwillige 24-Stunden-Überwachung im Fernsehen - bis dahin eine Horrorvorstellung aus Science-Fiction-Romanen - war ein Tabubruch, der "beim Publikum wie ein Atomblitz einschlug", so ORF-Unterhaltungschef Edgar Böhm rückblickend. Den daraufhin ausbrechenden Reality-Boom wollte sich auch der ORF nicht entgehen lassen und schickte noch im gleichen Jahr "öffentlich-rechtliche Varianten" des Entertainmentkonzepts on Air. Der Trend war allerdings nicht von langer Dauer.

"Wir haben dem Format eine eigene Note gegeben und die Kandidaten nicht nur wie Laborratten arrestiert, sondern sie mit einer Aufgabe beschäftigt", so Böhm. Es entstand "Taxi Orange" - die österreichische Antwort auf den "Großen Bruder" - mit der der ORF denn auch gleich einen Quotenerfolg landete. 72 Tage lang teilten sich dreizehn junge Männer und Frauen eine Wohnung und wurden dabei (fast) immer von Kameras beobachtet. Im Unterschied zum "privaten" Vorbild mussten die Kandidaten für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen und als Taxler arbeiten. Kameras in der Dusche waren tabu. "Taxi Orange" begeisterte durchschnittlich 654.000 Zuseher, der Marktanteil in der jungen Zielgruppe betrug im Durchschnitt 46 %.

Allerdings löste der Sender mit der Reality-Show auch heftige Diskussionen zwischen Gegnern und Befürwortern aus. Der damalige ORF-Generalintendant Gerhard Weis verteidigte "Taxi Orange" als "öffentlich-rechtlichen Notwehrakt" gegen "Big Brother". Die Sendung habe eine Million Zuseher zum ORF zurückgeholt, denen auch andere Inhalte wie etwa die "Zeit im Bild" vermittelt werden können, so Weis damals.

Fast zeitgleich mit "Taxi Orange" schickte der ORF in der Reality-Offensive des Jahres 2000 mit "Expedition Robinson" ein zweites Real-Life-Engagement ins Quotenrennen. "Expedition Robinson" war eine Koproduktion von ORF und RTL II, in der zwei jeweils acht Personen starke Teams aus Österreich und Deutschland auf einer Insel zwei Monate lang um den Titel des "Robinson 2000" kämpften. Die Auftaktshow verfolgten Anfang September 2000 743.000 Zuseher.

Zweite "Taxi Orange"-Staffel trotz Kritik

Trotz erheblicher Kritik wagte der ORF im April 2001 eine weitere Ausgabe von "Taxi Orange", die ebenfalls gute Quoten verzeichnete. Allerdings zeigte das Format von seiner ersten Folge mit 810.000 Zusehern bis zur letzten Ausgabe mit 709.000 Sehern bereits nachlassendes Interesse. "Das Ganze fing an, sich zu überleben", so Böhm. "Bei der ersten Staffel hatten die Kandidaten noch keine Erfahrung und keine Vorbilder. In der zweiten Staffel haben die Kandidaten begonnen, in Rollen zu schlüpfen und sich Strategien zurechtzulegen, um bei den Zusehern zu punkten. Die Authentizität ging verloren", so Böhm.

Der ORF verordnete sich daraufhin eine Reality-Pause, bis der Sender im Sommer 2004 mit "Expedition Österreich" sein vorerst letztes Aufbäumen im Bereich der Reality-Formate startete. Das aufwändige und kostspielige Format verbuchte durchschnittlich 450.000 Zuseher und blieb damit weit hinter dem Anfangsboom der Reality-Formate zurück, die nach und nach von den Castingshows abgelöst wurden.

Der ORF-Unterhaltungschef ist auch davon überzeugt, dass das Internet samt seiner diversen Möglichkeiten zum Exhibitionismus zum Aussterben der Reality-Shows der ersten Stunde beigetragen hat. "'Big Brother' hat damals ja das ganz normale Leben dokumentiert. Keiner hätte gedacht, dass das tatsächlich erfolgreich sein kann. Das Konzept ist ja kaum aufregender, als wenn man ein Aquarium betrachtet. Im Vergleich zu dem, was man heute im Internet findet, sehen diese Shows heutzutage arm aus."

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