Geld in 30 Sekunden?

Vollautomatischer Kfz-Sachverständiger

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Britisches Start-up bringt selbstlernende Software; Allianz hat in Österreich eine App im Einsatz

Künstliche Intelligenz hält an ungeahnten Stellen Einzug. In der Kfz-Versicherung verbreitet sich selbstlernende Software. Nach Panne oder Unfall könnten künftig finanzielle Schäden rasant beglichen sein. Das aber wird Folgen für die Jobs in der Branche haben.

Der vollautomatische Kfz-Sachverständige hat keinen Namen - und er arbeitet sehr schnell: Schadenaufnahme und Kostenvoranschlag für die Reparatur binnen 30 Sekunden. Denn der Schaden wird nicht von einem Menschen begutachtet, sondern von künstlicher Intelligenz. Das britische Start-up Tractable hat eine selbstlernende Software entwickelt, die Autoschäden jeder Art analysieren kann. Autofahrer müssen nur noch Fotos der beschädigten Wagen an die Versicherung schicken - den Rest erledigt die Maschine.

"Wir haben die künstliche Intelligenz mit Millionen von Aufnahmen beschädigter Autos trainiert", sagt Tractable-Verkaufschef Adrien Cohen. Der Autofahrer muss dabei kein Meisterfotograf sein. Die Software funktioniere unabhängig von Aufnahmeperspektive und Lichtverhältnissen.

Branchenweiter Trend

Tractable ist auf diesem Feld keineswegs allein, Automatisierung ist in der Versicherungsbranche ein großer Trend. Geforscht und entwickelt wird an allen Ecken und Enden, von kleinen Start-ups bis zu Konzernen wie Allianz. So hat der Münchner Branchenriese zwar noch nicht in Deutschland, aber in Österreich eine "Allianz Schaden Express App" im Einsatz.

Hierzulande können Allianz-Kunden ihre Fotos per Handy wahlweise zur Dokumentation des Fahrzeugschadens in einem computeranimierten 3D-Modell eingeben. "In diesem Fall erhält der Kunde innerhalb einer Stunde Rückmeldung zu den nächsten Schritten in der Schadenbearbeitung, zum Beispiel eine Reparaturfreigabe", sagt Emma Garriga, Abteilungsleiterin für "Advanced Business Analytics" in der Allianz-Konzernzentrale.

Das Prinzip: "Wo ein Mensch eine Entscheidung aufgrund von Bildern treffen kann, kann das auch die künstliche Intelligenz", sagt Tractable-Manager Cohen. Bisher sind alleinige Entscheidungen durch Computer unüblich, in der Regel sind noch Sachbearbeiter in den Schadenabteilungen der Versicherer beteiligt. Und die haben eine Menge zu tun: Das Statistische Bundesamt prophezeite Anfang Dezember, dass die Zahl der Verkehrsunfälle 2017 in Deutschland erstmals die Marke von 2,6 Millionen überschreiten werde. Die endgültigen Zahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor.

Den Großteil der Verkehrsunfälle machen Blechschäden aus - Routinefälle für Versicherungen. In den kommenden Jahren wird der Einsatz künstlicher Intelligenz nach Einschätzung vieler Experten zum Standard werden, und nicht nur in der Kfz-Versicherung.

Zwei Zielrichtungen

"Wir haben zwei Zielrichtungen: die künstliche Intelligenz zu verbessern und neue Anwendungen zu finden", sagt Cohen. "Unsere Technologie lässt sich auch für andere Sparten der Versicherung nutzen. Ein Beispiel wäre die Dokumentation von Wasserschäden in der Gebäudeversicherung."

Kombiniert mit "smart contracts" - voll automatisierten Versicherungsverträgen - wird es in absehbarer Zukunft technisch möglich sein, dass eine Versicherung ihren Kunden nach einem Schaden binnen weniger Minuten Geld überweist, zumindest bei einfachen Standardschäden wie Parkremplern.

Dabei geht es keineswegs nur um besseren Service für die Kunden. Im Schnitt fallen bei einer Versicherung drei Viertel ihrer Gesamtkosten für die Bezahlung und Bearbeitung der Schäden an, heißt es in einer Studie des Beratungsunternehmens Swiss Post Solutions und der Leipziger Versicherungsforen. Die "vollständige Dunkelverarbeitung", also ohne menschliche Beteiligung, ist aber nach wie vor Ausnahme. "In vielen Fällen sind die Technologie und das Prozess-Know-how heute schon vorhanden", heißt es in der Untersuchung.

Daher stellen sich viele Versicherungsmitarbeiter besorgt die Frage: Und was wird aus mir? In der ersten großen Welle der Automatisierung in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts fielen gerade Industriearbeiterjobs der "Rationalisierung" zum Opfer.

Das vor vierzig Jahren weit verbreitete Schlagwort ist außer Gebrauch geraten, doch der rasante Fortschritt der Digitaltechnik wird in den nächsten Jahren auch Bürojobs überflüssig machen, glauben viele Unternehmen und Arbeitsmarktfachleuten.

Geteilte Meinungen

Die Meinungen in der Branche sind geteilt. "Ich glaube nicht, dass künstliche Intelligenz menschliche Arbeitskräfte ersetzen wird", sagt Tractable-Verkaufschef Cohen. "Ich denke, dass Computer einfache repetitive Arbeitsgänge ersetzen können. In der Kfz-Versicherung können Computer die einfach gelagerten Schadenfälle übernehmen, und das ermöglicht den menschlichen Mitarbeitern, sich um die komplexen Fälle zu konzentrieren." Doch ist die Kostensenkung ein Haupttreiber der technischen Innovation - "der kostengünstige Ersatz für menschliche Arbeit", wie es in der Studie von SPL und Leipziger Versicherungsforen heißt.

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