Die Europäische Zentralbank (EZB) fordert als Lehre aus der Schuldenkrise Europas eine bessere Kontrolle der Staatshaushalte und eine unabhängige neue Überwachungsbehörde unter dem Dach der EU-Kommission.
"Nach der Erfahrung der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg müssen wir deutlich über den bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt hinausgehen", sagte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet am Montagnachmittag vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments in Brüssel. Überwachung und Bestrafung von Defizitsündern müssten "direkter und effektiver" werden, Sanktionen automatischer und schneller greifen. "Wir sprechen von einem Quantensprung", rief Trichet und erhielt dafür viel Beifall von den Abgeordneten.
Die EZB wünscht sich nach Trichets Worten eine deutliche Stärkung der EU-Kommission, die alle Empfehlungen und Sanktionen gegenüber Defizitsündern nur per Mehrheitsbeschluss im EU-Finanzministerrat durchbringen konnte. "Die Kommission sollte größere Verantwortung tragen bei der Formulierung von Vorschlägen, die dann nur einstimmig von den Mitgliedern des Rats modifiziert werden können", sagte Trichet.
"Im Fall eines Fehlverhaltens müssen Sanktionen früher greifen und breiter angelegt sein." So müsse etwa darüber nachgedacht werden, Defizitländern mehr Berichtspflichten aufzuerlegen, ihre Stimmrechte zu begrenzen oder sogar auf Zeit auszusetzen. Die EZB unterstützt damit eine Forderung Deutschlands, die eine bisher noch von vielen Ländern abgelehnte Änderung des EU-Vertrages erfordern würde.
Trichet zufolge ist keine Zeit mehr zu verlieren. "Wenn der Stabilitätspakt wort- und buchstabengetreu erfüllt worden wäre, dann wären wir sicher in einer besseren Lage. Aber ich zweifle daran, ob ich dann sagen könnte, wir seien in einer soliden und stabilen Situation. Wir haben wirklich einen echten Stresstest hinter uns und würden es absolut bereuen, wenn wir die sich daraus ergebende Gelegenheit nicht nutzen würden. Der gemeinsame Markt ist eine Einheit, bei der es sehr wichtig ist, dass sie auch korrekt funktioniert", appellierte Trichet. Die Währungsunion sei eine "Schicksalsgemeinschaft", sagte er auf Deutsch.
Der Zentralbankchef hatte bereits am Morgen in einem Fernsehinterview eine umfassende gegenseitige Kontrolle der EU-Staaten bei der Finanzpolitik gefordert. "Es ist von großer Bedeutung, dass die Regierungen sich nicht nur selbst angemessen benehmen, sondern dass sie unter Aufsicht stehen und ebenfalls unter Beobachtung ihresgleichen." An dieser Stelle hätte die Währungsunion in der Vergangenheit versagt.
In einem vergangene Woche von der EZB veröffentlichten Papier dazu heißt es: "Auf der Ebene der EU, der EU-Kommission, der Euro-Gruppe und des Europäischen Rats war man in Bezug auf die Durchsetzung der Haushaltsregeln nicht nachhaltig stringent. Auf der nationalen Ebene haben zudem die Belohnungssysteme für nachhaltige Finanzpolitik nicht in ausreichendem Maße gewirkt."
Die EZB nimmt damit erstmals ausführlich Stellung zu der schon begonnenen Diskussion der EU-Staaten über die Reform der Regeln für die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die EU-Staaten haben sich bereits grundsätzlich für bessere Kontrolle der Staatshaushalte und schärfere Sanktionen ausgesprochen.
Trichet hatte bereits am Wochenende Deutschland und auch sein Heimatland Frankreich ungewöhnlich scharf angegriffen. Beide Länder hätten 2004 für die Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes gesorgt und die Krise der Euro-Zone damit Jahre vor dem Debakel Griechenlands und anderer Schuldenstaaten eingeleitet.
"Die Regierungen waren extrem unzuverlässig über Monate und Jahre hinweg." Die Länder der Euro-Zone hatten Anfang Mai einen milliardenschweren Notfallschirm über den am stärksten von der Schuldenkrise betroffenen Staaten ausgespannt. Seitdem kauft die EZB zudem Staatsanleihen von Problemländern wie Griechenland und Portugal - bisher für 51 Mrd. Euro.