Verfassungskrise in Tschechien: Die von Prag geplanten Parlamentsneuwahlen am 9. und 10.10. sind vom Verfassungsgericht endgültig abgesagt worden. Nach der am 10.9. veröffentlichten Entscheidung der Richter in Brno (Brünn) stand das Vorgehen von Präsident, Parlament und Senat beim Ausrufen vorgezogener Wahlen nicht im Einklang mit der Verfassung.
Geklagt hatte ein einzelner Abgeordneter: gegen ein Gesetz zur Verkürzung der eigentlich vierjährigen Legislaturperiode und ein Dekret von Präsident Vaclav Klaus, das den Wahltermin festlegte. Schon am 1.9. hatte sich das Verfassungsgericht in den bereits laufenden Wahlkampf eingemischt, als es anordnete, den Oktober-Termin auszusetzen.
Klaus schäumte daraufhin in einer Stellungnahme, die "hochpolitische Entscheidung" führe Tschechien geradewegs in eine "konstitutionelle und politische Krise". Dabei hatte der streitlustige Präsident viele der 15 Richter doch selbst ausgesucht und ernannt. Aber auch die Parteien jammerten in ungewöhnlicher Einigkeit über Wahlkampfkosten und durcheinandergebrachte Pläne.
Es dauerte einige Tage, bis sich in Prag die Einsicht durchsetzte, wohl besser dem Gericht zu folgen und politisch zu reagieren. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Pavel Rychetsky, sagte schon am 6. September im nationalen Fernsehen: "Mir war klar, dass das eine ungewöhnliche Entscheidung ist, die natürlich auch Reaktionen hervorrufen wird. Aber das Maß an Emotionen und an Unbesonnenheit hat mich doch überrascht."
Denn die 1992/1993 während der tschechoslowakischen Trennung entworfene Verfassung hat sich in den vergangenen Jahren als löchrig erwiesen, sie befördert geradezu Krisen. Misstrauensvoten müssen nicht konstruktiv sein, der Senat als zweite Kammer kann den parlamentarischen Betrieb lähmen, die Kompetenzen des indirekt gewählten Präsidenten sind unscharf getrennt von denen der Regierung. "Die Verfassung ist in schlechter Verfassung", witzeln Juristen.
Als sich der Vizepräsident der Parlaments, Lubomir Zaoralek, in der Verhandlung vom 10.9. zu der Argumentation verstieg, das Parlament sei ausreichend Garant für die Verfassungsmäßigkeit der Neuwahl, schüttelten gleich mehrere Richter den Kopf. Ihr Urteil, eine Ohrfeige für den politischen Betrieb in Prag, überraschte danach kaum noch.
Die großen Parteien streben jetzt eine Verfassungsänderung an, um einen juristisch einwandfreien Neuwahltermin im November zu ermöglichen. Richter Rychetsky formuliert es so: "Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass sie in einem Staat leben, in dem gewisse Regeln gelten, und dass es nicht möglich ist, diese Regeln einfach zu brechen."