Der portugiesische Notenbankchef Vitor Constancio wird nächster Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union stimmten der Beförderung am 26. März bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel zu. Constancio tritt sein Amt im Juni an. Das Europäische Parlament hat die Personalie bereits am 25. März abgenickt.
Die Wahl eines Südeuropäers für das EZB-Führungsgremium gilt auch als Vorentscheidung im Rennen um die Nachfolge von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, dessen Amtszeit im Herbst 2011 endet. Dadurch sollen die Chancen für Bundesbank-Präsident Axel Weber steigen, im kommenden Jahr erster deutscher Chef der EZB zu werden. Gegenkandidat Webers wäre voraussichtlich der Chef der Banca d'Italia, Mario Draghi. Wegen des Regionalproporzes zwischen Nord- und Südländern in EU und Euro-Zone sinken dessen Chancen jedoch mit der Berufung des Südeuropäers Constancio als Nummer zwei der EZB.
"Zinstaube" sorgt für Ausgleich
Vitor Manuel Ribeiro Constancio wird ab Juni der Nachfolger von Lucas Papademos. Der Portugiese krönt damit seine lange Karriere an den finanzpolitischen Schalthebeln seines Heimatlandes und in Europa. Ganz nebenbei könnte Constancio den Weg von Weber an die Spitze der EZB im kommenden Jahr ebnen.
Der 66-jährige Zentralbankchef Portugals gehört zum Urgestein des EZB-Rats. Er sitzt seit dem Start der Währungsunion und damit auch der EZB in dem Gremium, das über die Geldpolitik bestimmt und über die Stabilität des Euro wacht. Zuvor war er nicht nur Abgeordneter, Staatssekretär und Finanzminister Portugals, sondern leitete auch die Verhandlungen über einen Beitritt des Landes in die damals noch EG genannte Europäische Union 1986. Nun soll er Nachfolger des Griechen Papademos werden, dessen Amtszeit Ende Mai ausläuft.
Durch den Wechsel dürfte sich die geldpolitische Gemengelage im EZB-Rat, der aus den 16 Notenbankchefs der Euro-Länder und dem sechsköpfigen Direktorium in Frankfurt besteht, nur wenig ändern. Beiden - dem scheidenden Papademos und dem alten Hasen der europäischen Zinspolitik aus Portugal - ist gemeinsam, dass sie im Gegensatz zu Inflationshardlinern wie Bundesbank-Präsident Weber oder EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark nicht sofort die Hand am Abzug haben, wenn die Inflation auch nur im Verdacht steht, etwas zu hoch auszufallen.
Kräfteverhältnisse bleiben unverändert
Journalisten und professionelle Beobachter der Geldpolitik von Zentralbanken nennen Notenbanker wie Constancio "Tauben", im Gegensatz zu den "Falken", die im Zweifelsfall eher den Leitzins anheben. Constancios Stil ist es dagegen - analysiert man seine Reden und die seltenen Interviews - bei den Zinsen lieber einmal fünf gerade zu lassen; zugunsten des Wirtschaftswachstums und eines prosperierenden Arbeitsmarktes. Er steht damit in der Tradition der Notenbanken vieler früherer Weichwährungsländer im Süden der Euro-Zone. Constancios Einzug ins EZB-Direktorium lässt die Kräfteverhältnisse unverändert.
Ob der Umzug des Portugiesen vom Tejo an den Main, wie vielfach behauptet, die Chancen Webers auf den EZB-Führungssessel begünstigt, bleibt noch abzuwarten. Angeblich besorgte Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst die Mehrheit für Constancio, um dem deutschen Wunschkandidaten den Weg zu ebnen. Fest steht, dass der Regionalproporz zwischen Süd und Nord bei einem Gespann Weber/Constancio besser austariert wäre als bei einem Duo Draghi/Constancio. Italiens Zentralbankchef Mario Draghi ist der einzige Gegenkandidat des Bundesbank-Chefs um die Nachfolge von Trichet, dessen Zeit als Präsident am 31. Oktober 2011 zu Ende geht.
Bis es soweit ist, wird der neue Vize bei den monatlichen Pressekonferenzen der Notenbank nach der Zinsentscheidung neben dem Franzosen Platz nehmen und wie bisher noch jeder Vizepräsident in der rund ein Jahrzehnt kurzen Geschichte der EZB in Trichets langem Schatten stehen - wenigstens in der öffentlichen Wahrnehmung. Dabei mag ein Vitor Constancio zwar geldpolitisch eine "Taube" sein, ein Leichtgewicht oder gar eine lahme Ente ist er beileibe nicht. Noch-Vize Papademos ist zum Beispiel für die Themenfelder Finanzstabilität und Aufsicht zuständig, die im Laufe der jüngsten Krise immer stärker an Bedeutung gewonnen haben. Zu den alten Hasen auf europäischem Parkett zu gehören, dürfte deshalb nicht von Nachteil sein.