Der österreichische Dirigent zieht sich zum 86. Geburtstag vom Pult zurück.
Jahrzehnte waren Bühne und Orchestergraben sein Königreich, nun hat sich Originalklangapologet Nikolaus Harnoncourt zu seinem 86. Geburtstag am heutigen Sonntag endgültig vom Pult zurückgezogen: Der Körper hält mit den Plänen des Publikumslieblings nicht mehr mit, der mit seinem Concentus Musicus über Jahrzehnte zu den Aushängeschildern der österreichischen Musikkultur gehörte.
Begründung
"Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne", schreibt Harnoncourt in einem öffentlichen Brief an sein Publikum, der am Samstagabend dem Publikum im Wiener Musikverein ausgehändigt wurde, das ihm Jahrzehnte die Treue hielt. Sein stechender Blick Richtung Musiker, seine kommentierenden Worte ins Auditorium sind ebenso berühmt wie Harnoncourts ungewohnte Tempi und seine bildhafte Sprache, mit der er Bücher füllte.
Mit Neugier und Enthusiasmus hatte der Musiker sich einst geweigert, bewährte Pfade ungeprüft zu beschreiten und stattdessen das Quellenstudium und die Verwendung von Originalklanginstrumenten propagiert - was eine Revolution der Aufführungspraxis einleitete. Dabei blieb Harnoncourt in seinem missionarischen Eifer bis zuletzt ungebremst. "Repertoire ist für mich geradezu ein Horror. Ich meine, dass man durch das Immer-wieder-Spielen derselben Werke diese vollkommen degradiert", hatte er noch vor wenigen Jahren postuliert.
Gesundheitliche Probleme
Der Endlichkeit der eigenen Kräfte war sich der Musiker dabei durchaus bewusst, hatte er doch bereits vor seinem 80er launig versichert: "Es gibt ein Ablaufdatum bei mir. Natürlich plane ich - aber ich warne jeden, der mit mir etwas plant." Zwar häuften sich in der Vergangenheit die gesundheitlich bedingten Absagen von Konzerten, dennoch konnte Harnoncourt auch in den Folgejahren noch viele Pläne verwirklichen, darunter etwa einen konzertanten Da-Ponte-Zyklus im Theater an der Wien oder Jacques Offenbachs "Ritter Blaubart" und Henry Purcells "Fairy Queen" bei seinem Hausfestival, der styriarte.
Karriere
Geboren wurde Nikolaus Harnoncourt als Johann Nicolaus de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt am 6. Dezember 1929 in Berlin in luxemburgisch-lothringischen Hochadel. Aufgewachsen ist der spätere Musikerneuerer, ein Ururenkel Erzherzog Johanns, allerdings in Graz, wohin seine Familie 1931 zurückgekehrt war. Von 1945 an erhielt er Cello-Unterricht. 1949 gründete Harnoncourt gemeinsam mit Eduard Melkus, Alfred Altenburger und Alice Hoffelner das Wiener Gamben-Quartett und wandte sich in der Folge der Erforschung von Spielweise und Klang alter Instrumente zu. Drei Jahre später wurde er Cellist der Wiener Symphoniker. Diesen Beruf übte er bis 1969 aus.
1953 wurde zu einem prägenden Jahr für den aufstrebenden Klassikstar. Zum einen heiratete er seine Partnerin Hoffelner. Und im Herbst desselben Jahres erfolgte die Gründung des Concentus Musicus Wien, mit dem eine neue Ära der Musikinterpretation eingeleitet wurde. Neben Konzerten und Plattenaufnahmen mit seinem eigenen Ensemble begann Harnoncourt 1972 auch zu dirigieren. 1975 startete die langjährige Zusammenarbeit mit dem Amsterdamer Concertgebouw Orchester. 1983 debütierte er am Dirigentenpult der Wiener Symphoniker, 1984 bei den Wiener Philharmonikern, 1987 (mit "Idomeneo") an der Wiener Staatsoper und 1992 bei den Salzburger Festspielen. Beim 1985 gegründeten steirischen Klassikfestival styriarte fungierte er von Anfang an als Aushängeschild. 2001 und 2003 dirigierte er das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.
Ausgezeichnet
Dabei blieb der rastlose und hoch dekorierte Dirigent, der u.a. mit dem Polar-Musikpreis, dem Kyoto Preis und dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet wurde, nicht beim barocken Repertoire stehen, sondern erweiterte seinen Horizont über die Jahre. Zuletzt dirigierte er Händel und Monteverdi, Bach und Mozart ebenso selbstverständlich wie Berg, Offenbach, Gershwin und Strawinski. Wer seine Konzerte und Projekte der kommenden Monate fortführen wird, steht derzeit noch nicht fest. Klar ist aber in jedem Falle: Nikolaus Harnoncourt wird am Dirigentenpult fehlen.