Er wurde für seinen Roman "Herkunft" ausgezeichnet. In seiner Dankesrede teilte er ordentlich gegen den Kärntner Literaturnobelpreisträger aus.
Der Deutsche Buchpreis 2019 geht an Sasa Stanisic für seinen Roman "Herkunft". Diese Entscheidung der Jury wurde am Montagabend im Frankfurter Römer bekanntgegeben.
In "Herkunft", seinem vierten Roman, erzählt der 1978 in Visegrad geborene Autor von der Flucht vor dem Jugoslawien-Krieg, der seine Familie in die Welt verstreute. Er beschreibt das Ankommen in Deutschland - mit einem Mund voller Karies und einer Mischung aus Angst und Erwartung. Er erzählt auch, wie Erinnerungen zu Geschichten werden - und wie wir uns mit diesen Geschichten selbst erschaffen.
"Sasa Stanisic ist ein so guter Erzähler, dass er sogar dem Erzählen misstraut. Unter jedem Satz dieses Romans wartet die unverfügbare Herkunft, die gleichzeitig der Antrieb des Erzählens ist. Verfügbar wird sie nur als Fragment, als Fiktion und als Spiel mit den Möglichkeiten der Geschichte. Der Autor adelt die Leser mit seiner großen Phantasie und entlässt sie aus den Konventionen der Chronologie, des Realismus und der formalen Eindeutigkeit", hieß es in der Begründung der Jury. "Mit viel Witz setzt er den Narrativen der Geschichtsklitterer seine eigenen Geschichten entgegen. 'Herkunft' zeichnet das Bild einer Gegenwart, die sich immer wieder neu erzählt. Ein 'Selbstporträt mit Ahnen' wird so zum Roman eines Europas der Lebenswege."
Attacke auf Austro-Nobelpreisträger Peter Handke
In seiner Dankesrede ritt der akut an einer Schilddrüsenentzündung laborierende Gewinner heftige Attacken gegen den österreichischen Literaturnobelpreisträger des Jahres 2019, Peter Handke, und feierte stattdessen die gleichzeitig verkündete Nobelpreisträgerin 2018, die Polin Olga Tokarczuk. Er müsse sich auch deswegen kurz echauffieren, "weil ich das Glück hatte, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt". Handke negiere etwa in einen Text über seine Heimatstadt Visegrad dort verübte Kriegsverbrechen und konstruiere sich eine den Tatsachen widersprechende Wirklichkeit. "Das soll Literatur eigentlich nicht", sagte Stanisic, der für seine Rede einigen Applaus erhielt. "Mich erschüttert, dass so etwas prämiert wird. Ich stehe nicht alleine mit meiner Erschütterung da, das freut mich auch."
25.000 Euro für den Sieger
Nominiert waren auch die 29-jährige Wienerin Raphaela Edelbauer ("Das flüssige Land"), der 27-jährige in Neu-Delhi geborene Wiener Tonio Schachinger ("Nicht wie ihr") sowie Norbert Scheuer ("Winterbienen"), Jackie Thomae ("Brüder") und Miku Sophie Kühmel ("Kintsugi") aus Deutschland.
Der 2005 ins Leben gerufene Deutsche Buchpreis wird traditionell am Vorabend der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse vergeben. Gesucht wird der beste deutschsprachige Roman des Jahres. Der Sieger erhält 25.000 Euro, die übrigen fünf Autoren der Shortlist jeweils 2.500 Euro. Die Auswahl trifft eine siebenköpfige Jury, die jedes Jahr neu besetzt wird und heuer insgesamt 200 Titel gesichtet hat. Erst zweimal erhielten Österreicher den Preis: 2005 gewann Arno Geiger mit seinem Roman "Es geht uns gut", 2017 wurde Robert Menasse für "Die Hauptstadt" ausgezeichnet. Im Vorjahr siegte Inger-Maria Mahlke mit dem Roman "Archipel".
Seine Rede im Wortlaut
Im Folgenden die heute Abend im Frankfurter Römer gehaltene Dankesrede des neuen Trägers des Deutschen Buchpreises, Sasa Stanisic, im Wortlaut:
"Ich trage in mir 1200 Ibuprofen. Wenn Sie mir später gratulieren, halten Sie bitte so eine Spuckdistanz weg. Schilddrüsenentzündung - nicht angenehm. Ich konnte heute die Zahnpastatube nicht aufmachen, ich musste sie aufschneiden, weil mir meine Muskeln so wehgetan haben. Ich freue mich wirklich immens über diesen Preis und hatte bis heute Morgen auch mich sehr gerne darauf konzentriert, wie sehr ich mich freuen würde, wenn ich ihn bekomme.
Es gab aber einen anderen Preis, der diese Konzentration gestört hat, und der etwas, eine kleine Spur wichtiger ist. In Schweden, in Stockholm. Und den hat nun einer bekommen, der mir diese Freude an meinem eigenen ein bisschen vermiest hat, und deswegen bitte ich sie um Nachsicht, wenn ich diese kurze Öffentlichkeit dafür nutze, mich kurz zu echauffieren. (Applaus) Über die 50 Prozent des Preises.
Ich tu's auch deswegen, weil ich das Glück hatte dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt. Dass ich hier heute vor ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichkeit zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat, und die in seinen Texte der 90er-Jahre hineinreicht. Und das ist komisch, finde ich, dass man sich die Wirklichkeit, indem man behauptet Gerechtigkeit für jemanden zu suchen, so zurechtlegt, dass dort nur noch Lüge besteht. Das soll Literatur eigentlich nicht.
In seinem Text, der über meine Heimatstadt Visegrad verfasst worden ist, beschreibt Handke unter anderem: "Milizen, die barfuß nicht die Verbrechen begangen haben können, die sie begangen haben." Diese Milizen und ihr Milizen-Anführer, der Milan Lukic heißt und lebenslang hinter Gittern sitzt, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erwähnt er nicht. Er erwähnt die Opfer nicht. Er sagt, dass es unmöglich ist, dass diese Verbrechen geschehen konnten. Sie sind aber geschehen. Mich erschüttert sowas, dass sowas prämiert wird. Ich stehe nicht allein mit dieser Erschütterung da, und das freut mich auch. Die katholische Kirche hat Handke schon gratuliert. Die katholische Kirche hat dem Handke gratuliert und ihm zu einer Ehrung jenseits der politischen Korrektheit gratuliert - die katholische Kirche! Passt ja eigentlich.
Ich stehe hier, um eine andere Literatur zu feiern. Ich feiere die anderen 50 Prozent. Ich feiere Olga Tokarczuk. Ich feiere eine Literatur, die alles darf und alles versucht, auch gerade im politischen Kampf mittels Sprache zu streiten. Ich feiere Literatur, die dabei aber nicht zynisch ist, nicht verlogen und die uns Leser nicht für dumm verkaufen will, indem sie das Poetische in Lüge verkleidet, und zwar freiwillig, Fakten, an denen scheitert. Ich feiere die anderen Autoren, ich feiere Olga Tokarczuk. Und lassen sie mich zum Schluss auch sagen, dass ich gerne auch Literatur feiere, die die Zeit beschreibt, und diese Zeit ist so, wie Handke sie im Falle von Bosnien beschreibt, nie gewesen.
Lassen Sie mich doch aber jetzt mit einer freudigen Note enden: Ich freue mich wirklich über ihre Auszeichnung. Ich danke der Jury. Ich danke meinem fantastischen Verlag, jederzeit in allen Dingen waren sie für mich da - Gesprächspartner, Freund, Ratgeber. (Es folgt die Aufzählung etlicher Namen) Vielen Dank Ihnen, den Anwesenden, viel Kraft in den nächsten Tagen! Lassen Sie sich nicht anstecken - außer von guter, verkäuflicher und unverkäuflicher Literatur."