Neun Gemeinden kämpfen aus der Luft - Großeinsatz mit Hubschrauber.
Ganz Österreich leidet derzeit unter einer ganz besonders nervigen Invasion – die der Gelsen. Denn durch die Überschwemmungen und das Hochwasser kam es in den letzten Wochen zu einer regelrechten Explosion an Stechmücken.
„Ohne Heli können wir mittags nicht mehr raus“
Gelsen-Experte Bernhard Seidel spricht von einer „Katastrophe“ und schätzt die Zahl der aggressiven Biester auf „mehr als 10 Milliarden“. In Hohenau an der March (NÖ) hat man beschlossen, diesem Gelsen-Terror jetzt zu trotzen – und zwar mit einem Luftangriff. „Wir sind jetzt schon fast drei Tage mit dem Hubschrauber geflogen und haben dabei etwa 3.000 Kilogramm BTI abgeworfen, das ist ein Bakterium, das die Gelsen im Larvenstadium vernichtet“, schildert Bürgermeister Robert Freitag die Strategie von neun Gemeinden an March und Thaya, die sich ihr Leben nicht weiter von den Blutsaugern kaputt machen lassen wollen. „Ohne dieses Gelsen-Programm könnten wir nicht einmal mehr zu Mittag das Haus verlassen“, so der Ortschef, der betont, dass das Gift zwar für Gelsen tödlich ist, nicht aber für die restliche Natur. „Das Mittel ist in 48 Stunden vollständig abgebaut, das wird auch streng kontrolliert.“
Slowakei soll mittun. Etwa 2.000 Hektar konnte man so schon gelsenfrei machen. „Jetzt müssen nur noch unsere Nachbarn in der Slowakei und in Tschechien überzeugt werden, hier mitzutun, sonst helfen unsere Bemühungen nicht viel.“
Doch nicht überall kann man Luftangriffe auf die Stechmücken fliegen, im Großraum Wien ist die Gelsenplage deshalb auch vehement. „Wir haben derzeit ein Drittel mehr toxische Reaktionen auf Gelsen-Stiche“, heißt es aus der Rudolfstiftung. Und zumindest in den nächsten zehn Tagen ist noch keine Beruhigung zu erwarten. Seidel: „Erst am 15. Juli ebbt diese Plage ein bisschen ab, aber nur, wenn nicht wieder Regenfälle kommen.“
Doch diese sind leider heute schon wieder zu erwarten: Es gibt eine Unwetterwarnung. Und das „lieben“ die Gelsen ...
Barbara Haas
Sturm auf Ambulanzen nach Gelsen-Stichen
Sie sind nicht nur lästig, sondern können auch allergische Reaktionen auslösen: die Gelsenstiche. „Bei uns gibt es heuer einen massiven Anstieg an toxischen Reaktionen nach Gelsenstichen, sicher ein Drittel mehr als normal“, schildert die diensthabende Oberärztin in der Wiener Rudolfstiftung. Nachsatz: „Es sind vom Baby bis zur Oma alle betroffen, heuer ist es schlimm.“
Ähnlich die Aussagen aus dem Donauspital, Wiens zweitgrößtem Krankenhaus. „Die Leute kommen sogar per Notarzt oder mit der Rettung, am Wochenende doppelt so viele wie sonst“, so die Auskunft.
»Die Hochwasser-Gelsen sind extrem aggressiv«
ÖSTERREICH: Ganz Österreich stöhnt unter den vielen Gelsen. Wie sieht denn die Lage aktuell wirklich aus?
Bernhard Seidel: Es schaut ganz schlecht aus, gerade im Osten ist es derzeit eine Katastrophe, eben durch das Hochwasser. Es sind unendlich viele, vermutlich mehr als 10 Milliarden Tiere. Diese Überschwemmungs-Gelsen entstehen explosionsartig und sind extrem aggressiv.
ÖSTERREICH: Warum sind diese aggressiver?
Seidel: Sie sind kurzlebiger und machen, wenn man so möchte, nur ihren Job: Sie nützen diese kurze Lebenszeit voll aus.
ÖSTERREICH: Wann ist denn der Höhepunkt dieser Hochwasser-Gelsenplage überschritten?
Seidel: Diese extreme Gelsenplage wird noch bis zum 15. Juli in etwa dauern, dann ebbt sie ab. Doch: Nach der Plage ist vor der Plage, sobald wieder Regen fällt oder es sogar noch mal zu einem Hochwasser kommt, wird wieder gebrütet.
ÖSTERREICH: Welche Gebiete sind besonders betroffen?
Seidel: Die Hochwasser-Gebiete in Nieder- und Oberösterreich, auch in Wien.
ÖSTERREICH: Wie kann man sich schützen?
Seidel: Warm anziehen und durchtauchen.
Kärnten und Tirol: Hier urlauben Sie gelsenfrei
Wer dem Gelsen-Wahnsinn entfliehen will, sollte sich in Kärnten oder in Tirol einbuchen. Hier ist es sicher gelsenfrei, und laut dem Tourismus-Portal Tiscover sind diese Destinationen auch die Top-Ausflugsziele der Österreicher. Ganz oben steht der Faaker- und der Ossiacher See in Kärnten, dahinter liegt das Zillertal, gefolgt vom Salzkammergut und dem Ötztal, das vor allem für Bergtouren wirbt. Es folgen der Bregenzer Wald und der Achensee.
Grundsätzlich boomt der Tourismus heuer in ganz Österreich – jeder Zweite urlaubt im eigenen Land.
So werden die Gelsen vernichtet
Bevor der Hubschrauber in den neun Gemeinden zwischen Hohenau, Angern und Dürnkrut aufsteigen kann, ist sorgfältige Vorbereitung nötig.
Das Gebiet an March und Thaya wurde 2006 kartografiert und alle Brutstellen eingezeichnet. Auch bei der Bekämpfung ist Präzision gefragt, denn es gibt nur vier bis fünf Tage, an denen man die Gelsen im Larvenstadium erwischt. Und nur dann wirkt das BTI-Gift – konkret ist es ein biologisches Bakterium, das ein Fraßgift produzieren kann. Wenn die Gebiete mit den Brutnestern ausgelotet sind, steigt der Hubschrauber auf 60 Meter Höhe auf und verstreut ein Granulat.
Sechs bis 12 Stunden nach dem Flug wird wieder kontrolliert, ob die Maßnahme erfolgreich war. Ein Monitoring sorgt zusätzlich dafür, dass die Natur keinen Schaden nimmt.
3.000 Kilo BTI wurden bereits verstreut, insgesamt haben die drei Flugtage den Gemeinden etwa 70.000 Euro gekostet.
VIDEO: Spektakulär: So saugen sich Gelsen mit Blut voll