Der gescheiterte Jurist benötigte das Geld, um Dasein fristen zu können.
Ein mittlerweile pensionierter Wiener Rechtsanwalt ist am Mittwoch im Straflandesgericht wegen Veruntreuung von Klientengeldern schuldig gesprochen worden. Obwohl der angerichtete Schaden immerhin 380.000 Euro ausmachte, fiel das Urteil mit zwei Jahren bedingt recht milde aus. Den Schöffensenat (Vorsitz: Brigitte Zeilinger) dürfte die tragische Lebensgeschichte des 61-jährigen Juristen milde gestimmt haben.
"Wollte Kunsthistoriker werden"
Beinahe 25 Jahre
betrieb der Jurist eine Anwaltskanzlei. Dabei hasste er seinen Job. "Ich
wollte gern Kunsthistoriker werden. Oder etwas mit Literatur. Aber das hat
mir mein Vater nicht erlaubt", verriet er dem Gericht. Auf die Frage, warum
er in späteren Jahren nicht umgesattelt habe, kamen dem Mann die Tränen:
"Das war mein größter Fehler."
Zu Beginn seiner Karriere ließ sich die Juristerei ungeachtet seines Desinteresses zumindest in finanzieller Hinsicht noch vielversprechend an. Als aber immer mehr Anwälte auf den Markt drängten, blieben die Klienten aus, sodass der Angeklagte auf fremdes Geld zurückgriff, um den Kanzleibetrieb aufrechterhalten und seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Überblick verloren
Leicht fiel ihm das insofern, als er sein
eigenes Vermögen nicht von dem jener seiner Klienten trennte: Geldeingänge
landeten einfach auf zwei Girokonten, die bei Bedarf für private oder
berufliche Zwecke bedient wurden, sodass seine beiden Angestellten bald den
Überblick über die wirtschaftliche Lage der Kanzlei verloren.
Als auch noch seine Ehe in die Brüche ging, wurde der Anwalt zum Alkoholiker. Zuletzt benötigte er täglich zwei Flaschen Wodka. Wenn Klienten anläuteten, versteckte er sich teilweise unter dem Schreibtisch, um nicht mit ihnen sprechen zu müssen. Schließlich wurde er mit einem Nervenzusammenbruch in die Psychiatrie eingeliefert, und seine Kanzleileiterin rief endlich einen befreundete Anwalt um Hilfe, weil sie keine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte.
"Eine gescheiterte Existenz"
"Es war ein
Riesenkuddelmuddel", schilderte der "Helfer in der Not" im Zeugenstand seine
Eindrücke, als er die Büroräumlichkeiten seines Freundes betrat und die
Papierberge zu sichten begann. Den Angeklagten bezeichnete er als
"unglücklichen Menschen", der in seinem Leben nicht das umgesetzt habe, was
er aus sich machen hätte wollen: "Er ist völlig zerstört. Eine gescheiterte
Existenz."
Seit er seinen Beruf nicht mehr ausüben muss, geht es dem 61-Jährigen nach eigenem Bekunden wieder besser, obwohl er zur Schadensgutmachung aufs Existenzminimum gepfändet wird. Wie der Angeklagte abschließend eindringlich betonte, hatte er das unterschlagene Geld nicht für ein Leben in Saus und Braus verwendet, sondern schlicht und ergreifend für sein bescheidenes Dasein benötigt: "Ich habe einen 15 Jahre alten VW Polo gefahren. Urlaub hab ich gratis bei meinem Bruder gemacht. Und das Gewand hab' ich von der Stange gekauft."
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Staatsanwalt gab vorerst keine Rechtsmittelerklärung ab.