"Ich wollte ihn zu keinem Zeitpunkt töten"

Prozess nach Halsstich in Wien-Leopoldstadt: Vier Jahre Haft

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Ein 69-jähriger Mann ist am Dienstag am Wiener Landesgericht wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden.  

Wien. Der Pensionist hatte am 14. Jänner 2023 in seiner Wohnung in Wien-Leopoldstadt seinem angeblich besten Freund in den Hals gestochen, weil dieser nicht bis zum Verzehr eines gemeinsam zubereiteten Fisches bleiben wollte. Das habe ihn "sehr traurig" gemacht, erklärte der Angeklagte im Grauen Haus.

Die Anklage hatte auf versuchten Mord gelautet - das Opfer hatte immerhin lebensgefährliche Verletzungen erlitten. Die Geschworenen verneinten mit einem Abstimmungsverhältnis von 5:3 mehrheitlich den Tötungsvorsatz und erkannten auf absichtliche schwere Körperverletzung. Der Niedergestochene bekam ein Schmerzengeld von 8.140 Euro zugesprochen. Der 69-Jährige nahm das Urteil an, die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab. Das Urteil ist damit nicht rechtskräftig.

"Ich wollte ihn zu keinem Zeitpunkt töten"

"Ich habe mir gedacht, ich werd' ihm einen Schmerz zufügen, so wie er mir einen Schmerz gemacht hat", hatte der Angeklagte erläutert, weshalb er zu einem Küchenmesser gegriffen und es dem 38 Jahre alten Mann in den Hals gestochen hatte. "Ich wollte ihn zu keinem Zeitpunkt töten", versicherte der 69-Jährige. Auf die Frage des vorsitzenden Richters, womit bei einem Stich in die Halsregion denn zu rechnen sei, räumte er ein: "Es kann auch eine Tragödie vorkommen. Er könnte auch das Leben verlieren. Aber das war nicht meine Absicht." Unmittelbar vor dem Zustechen habe sich der Mann nämlich bewegt, er habe ihn "ja nur am Arm, an der Schulter" treffen wollen.

Die beiden Männer hatten sich im Vorjahr noch mitten in der Corona-Pandemie beim Angeln an der Donau kennengelernt. Da beide aus Rumänien stammen, kam man ins Gespräch, freundete sich trotz des beträchtlichen Altersunterschiedes an, lud sich gegenseitig ein und feierte auch gemeinsam Weihnachten. Als der Jüngere erwähnte, dass er noch nie einen Wels gefangen, geschweige gegessen habe, erinnerte sich der 69-Jährige an ein tiefgefrorenes Exemplar in seiner Gefriertruhe. Dieses war ihm im vorangegangenen August an die Angel gegangen. Kurzerhand lud der Pensionist den 38-Jährigen und dessen Frau zum Verzehr des Süßwasserfisches ein.

 "Dann habe ich angefangen zu saufen" 

Das Paar kam gemeinsam mit ihrem wenige Monate alten Kind schon am Nachmittag in die Wohnung, der 38-Jährige putzte den Fisch, der 69-Jährige filetierte ihn. "Dann habe ich angefangen zu saufen", schilderte der Angeklagte. Wein, Bier und Schnaps flossen, der Freund hielt mit, das Essen verzögerte sich. Dann, als der Fisch praktisch essfertig war, drängte die 36 Jahre alte Frau zum Aufbruch, die mitgebrachte Milch zum Stillen des Kleinkinds war ausgegangen. Das frustrierte den älteren, alleinstehenden Mann, der sich 2013 scheiden hatte lassen, nachdem er eigenen Angaben zufolge Jahrzehnte über eine außereheliche Langzeit-Beziehung seiner Frau hinweggesehen hatte: "Ich habe keine Freunde. Zu mir kommt niemand auf Besuch. Sie (der 38-Jährige und dessen Frau, Anm.) waren die Einzigen, bei denen ich eine offene Tür gehabt habe."

Nachdem er den Mann niedergestochen hatte, nahm der blutverschmierte 69-Jährige das Kleinkind in den Arm und ging damit zu einem Nachbarn, weil die Frau des lebensgefährlich Verletzten einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, immer wieder "Mörder!" schrie und nicht zu beruhigen war. Der Nachbar machte zunächst nicht auf, weil der Angeklagte neben dem Baby auch noch die Tatwaffe in Händen hielt. Erst als dieser das Messer auf den Boden legte, öffnete der Nachbar die Tür, rief die Polizei und bot dem 69-Jährigen einen Sessel an. Auf diesem wartete der Pensionist mit mehr als 2,1 Promille Alkohol im Blut das Eintreffen der Exekutive ab.

Nur mit Glück überlebt

Das Opfer überlebte mit viel Glück und nur dank einer gut funktionierenden Rettungskette, wie Gerichtsmediziner Wolfgang Denk deutlich machte. Der fünf Zentimeter tiefe Stich in den Hals durchtrennte Nervenfasern an der Halswirbelsäule und verschob die Luft- und die Speiseröhre. "Es grenzt fast an ein Wunder, dass der sieben Monate alte Sohn nicht Halbwaise ist", legte die Rechtsvertreterin des Opfers dar. Der 38-Jährige ist zur Ausübung seines Berufes vorerst und bis auf weiteres nicht mehr in der Lage, da er mehrfache Operationen über sich ergehen lassen musste. Weitere Termine stehen bevor. Außerdem weist der linke Arm des Bauarbeiters seither eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit auf. 

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