'Sieben Tage später Lockdown hätten 40.000 Infizierte gebracht', so Dr. Popper in der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag.
Wien - Am 16. März hat in Österreich der Lockdown zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie begonnen. Hätte man aber sieben Tage später reagiert, wäre es in etwa zu einer Vervierfachung der positiv getesteten Fälle gekommen. Darüber hinaus wären knapp über 1.000 Intensivbetten belegt gewesen, erläuterte der Simulationsexperte Niki Popper von der Technischen Universität (TU) Wien am Donnerstag.
Bei einer Pressekonferenz im Gesundheitsministerium wurden in einem Rückblick die Auswirkungen der gesetzten Maßnahmen analysiert. Popper betonte, dass das die ersten qualitativen Ergebnisse sind und die Publikation erst in Arbeit ist, die Modellrechnung fokussiere sich "ausschließlich auf die Wirksamkeit der gesetzten Maßnahmen". Bei der Simulation kam heraus, dass eine Reaktion erst sieben Tage später zum Höhepunkt der Pandemie Ende März mit rund 40.000 positiv getesteten Fällen geführt hätte. Durch die gesetzten Maßnahmen waren es damals dagegen rund 10.000 aktive Fälle.
Eine Woche später - Intensivbetten wären zu wenig gewesen
Bei den belegten Intensivbetten wäre Ende März die Marke von 1.000 überschritten worden - so waren es rund 250 Belegungen. "Eine nur sieben Tage verspätete Reaktion hätte einen sehr starken Effekt gehabt", betonte Popper. "Jeder Tag später hätte Ressourcen gekostet und uns an den Rand des Systems gebracht", erläuterte der Experte.
Er betonte ebenso wie Herwig Ostermann, Geschäftsführer von Gesundheit Österreich, dass man sich derzeit in einem "Präventionsparadoxon" befinde. Dieses Phänomen beschreibt, dass man Maßnahmen ergreift, damit etwas nicht eintritt, dann der Erfolg der Präventionsmaßnahmen aber paradoxerweise zu Unzufriedenheit führt. Österreich habe nicht zu viele Kapazitäten freigehalten für den Zeitpunkt X, bekräftigte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). "Hätten wir nicht frühzeitig reagiert, hätte es dazu geführt, dass wir bis an die Grenzen der Möglichkeiten gegangen wären", konstatierte Anschober. Es wären keine einfachen Beschlüsse gewesen, als Österreich "relativ frühzeitig" so entschieden hatte, betonte der Minister. Ostermann führte aus, dass es mittlerweile bereits in mehreren Ländern ähnliche Untersuchungen gibt, die zeigen, welche wichtigen Effekte die Quarantänemaßnahmen hatten.
Popper simulierte rückblickend auch die Auswirkungen einer früheren Öffnung aller Geschäfte und Schulen. Am 14. April durften hierzulande kleine Geschäfte sowie Bau- und Gartenmärkte öffnen, für Maturaklassen startete am 4. Mai der Unterricht wieder. Wären Geschäfte und Schulen bereits am 1. April geöffnet worden, "wäre die Kurve sehr rasant nach oben gegangen", erläuterte Popper: "Da wäre die Post wieder abgegangen." Zum Höhepunkt der Pandemie hatten die Österreicher ihre Kontakte um rund 90 Prozent reduziert. "Das gemeinsame Reduzieren von Freizeitkontakten war enorm wichtig", betonte der Forscher. Ein Rückgang von 50 Prozent hätte die Kurve wiederum weiter ansteigen lassen.
Wiederholt war in den vergangenen Wochen die Wichtigkeit von Containment und Tracing betont worden. Auch das simulierte Popper. Eine Reaktionszeit von 3,8 Tagen, bis Infizierte aus dem Kontaktnetzwerk herausgenommen werden und niemanden mehr anstecken können, bedeute ein langsames Wachstum der Zahlen. "Wenn wir länger brauchen, um Menschen rauszunehmen, bei 5,7 Tagen etwa, geht die Kurve sehr schnell wieder nach oben", erläuterte Popper. Er plädierte dafür, die Reaktionszeit zu verkürzen. "Reduzieren wir in dem Fall auf 1,9 Tage, sehen wir, dass wir viel mehr Maßnahmen und Lockerungen aushalten können." Wie rasch das in Österreich momentan tatsächlich geht, blieb unklar. Das werde noch evaluiert, hieß es. "Wir drängen alle immer, dass es kürzer wird", sagte Popper. Prinzipiell habe sich die Zeit bis zum Testergebnis jedoch bereits "drastisch beschleunigt", meinte Anschober. Aber: "Je schneller wir sind, desto besser."
Der Simulationsexperte Popper erläuterte, dass mit schnellerem und effektiveren Tracing, Kontaktreduktionen sowie Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln die sich weiteren Lockerungsmaßnahmen voraussichtlich gut ausgehen werden und Österreich in Richtung Normalität gehen könne. "Das Virus ist nicht auf Urlaub gefahren, es ist nicht weg aus Österreich, sondern nach wie vor da", sagte Anschober. Er verwehrte sich dagegen, jetzt unvorsichtig zu werden. "Wir werden die Strategie der schrittweisen Öffnung weiter fortsetzen", bekräftigte der Minister.
Anschober betonte, dass es "für die Zukunft entscheidend ist zu wissen, was hat in der Vergangenheit funktioniert". Die Situation in Österreich ist weiterhin "sehr stabil". 674 aktiv Erkrankte gab es mit Stand Donnerstag, davon waren 107 im Spital und 30 davon in intensivmedizinischer Behandlung. 37 Neuinfektionen kamen hinzu, dem standen 58 Neugenesene gegenüber.