Ernste Beziehungskrise

Koalitionskrach wegen Identitärer

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FPÖ distanziert sich erneut von den Rechtsextremen. Kurz akzeptiert das vorerst.

Am Samstagnachmittag gab es auf einmal wieder freundliche Töne: Vizekanzler HC Strache „grenzte“ sich erneut von den rechtsextremen Identitären ab. Sebastian Kurz akzeptierte das eine Stunde später. Dabei hatte es dem ÖVP-Kanzler eine Woche zuvor endgültig gereicht: Via ÖSTERREICH war er erstmals ­öffentlich auf Distanz zu den Blauen gegangen. „Keiner, der es gut mit Österreich meint, darf Kontakte zu Radikalen haben“, so Sebastian Kurz in der Causa Identitäre.

Der Haken: In der FPÖ haben einige seit Jahren Kontakte zu den Rechtsextremen. Sichtbar wurde das im Herbst 2018, als FPÖ und Identitäre fast mit identischer Wortwahl gegen den UN-Migrationspakt agitierten. Das weiß auch Kurz. Und das wissen auch Verbündete von Kurz in Deutschland oder den Niederlanden. Dass der türkise Regierungschef seit Tagen offen gegen „widerliche“ Identitäre herzieht, löst freilich in der blauen Welt Wut aus. Am Donnerstag suchte FP-Chef Heinz-Christian Strache hinter verschlossenen Türen die Konfrontation mit Kurz. Dass dieser FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek wegen ­einer zunächst aufgeweichten Sperre für Identitäre öffentlich vorgeführt habe, „geht einfach nicht“.

Drohung

Inoffiziell sagen Türkise: „Die Blauen müssen aufräumen. Wir lassen einen schwammigen Kontakt zwischen Blauen und Rechtsextremen nicht zu.“ Sonst? „Sonst gehen wir eben in Neuwahlen“, so ein VP-Stratege.

Diese Drohung nimmt man in der FPÖ freilich nicht ernst. „Die spielen sich auf, damit Kurz die EU-Wahl gewinnt.“ Die Eskalation von der Kurz-Seite dürfte freilich weniger mit der EU-Wahl zusammenhängen. Denn die Drohungen internationaler Geheimdienste, das blaue Innenministerium noch stärker von Geheiminfos zu isolieren, ist ernst.

Die blaue Basis tobt freilich: „Die ÖVPler wollen uns wie 2002 ausrutschen lassen und in Neuwahlen flüchten.“ Dann am Samstagabend der Versuch, alles zu kitten. Ob das die FPÖ-Funktionäre beruhigt, darf bezweifelt werden.

Martin Sellner - Wer ist der Rechtsextreme, der die Regierungskoalition spaltet?

Er lässt sich gerne mit Büchern von Martin Heidegger fotografieren. Er hat die Identitären in Österreich mitbegründet und löst in der türkis-blauen Regierung einen veritablen Koalitionsstreit aus. Er sei ein „Hipster-Neonazi“, sagen Rechtsextremismusexperten über Martin Sellner, der es dieser Tage zu Schlagzeilen von der New York Times bis zur BBC schafft. Aber wer ist dieser 30-Jährige, der 2006 zu 100 Stunden Arbeit auf einem jüdischen Friedhof verurteilt wurde, weil er eine Synagoge mit Hakenkreuz-Stickern schändete?

Eigentlich hätte der studierte Philosoph die besten Bedingungen für ein gutbürgerliches Leben: Seine Arztfamilie aus Baden konnte ihm stets ein kommodes Leben bieten. Zwei seiner Brüder dürften seine Ideologie teilen, ebenso wie seine US-Verlobte Brittany Pettibone, die den Niederösterreicher in die antisemitische US-Alt-Right-Szene einführte. Er sei „kein Neonazi“, sagt Sellner.

Küssel

Seine Wurzeln sind freilich eindeutig: 2006 bewundert er die Neonazigröße Gottfried Küssel, der sein Mentor wird. Sellner, der heute diese Kontakte als „Verirrung“ darstellt, begleitet Küssel zwei Mal zu Kranzniederlegungen für einen NS-Flieger. Insider berichten, dass Küssel Sellner als talentiert angesehen habe. Für die Neonazi-Website Alpen-Donau.info soll Sellner auch Administrator gewesen sein, sind Verfassungsschützer sicher. Die Köpfe der Neonaziszene werden 2011 zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Szene verkommt. Junge Menschen zieht es nicht mehr zu den grobschlächtigen Neonazis. Da findet Sellner einen neuen Mentor: Götz Kubitschek. Der extreme Verleger nimmt den jungen Sellner 2012 ins französische Orange mit, wo die Génération Identitaire gegründet wird. Die Franzosen erklären ihnen, dass sie sich „eleganter“ kleiden, an ihrer Sprache feilen und den Judenhass „aus strategischen Gründen“ aus der Öffentlichkeit verbannen.

Rhetorik

Sellner verbringt mehrere Monate bei Kubitschek in Deutschland. Er kehrt zurück nach Wien und gründet die Identitären Österreichs mit. Regelmäßig fährt er auf Seminare nach Frankreich und wird in Rhetorik geschult.

Aber er zeigt auch andere Seiten. „Gott sei Dank hab’ ich schon eine Waffe gekauft, bevor der Asylwahn begonnen hat“, twittert er 2016. 2017 wird er mit einem Waffenverbot belegt, nachdem er in der U-Bahn-Station Schottentor mit einer Gaspistole um sich schießt. 2017 sammeln die Identitären 170.000 Dollar und starten mit dem „Defend Europe“-Schiff eine Anti-Migranten-„Aktion“ im Mittelmeer, die Sellner und Co. zur Lachnummer macht. Das Schiff muss von NGOs gerettet werden.

Sellner betreibt immer manischer seinen Blog. Großbritannien nimmt ihn 2017 zwei Mal bei Einreiseversuchen fest. Wegen „Hassreden“. Am 8. September 2018 organisiert er „Gedenken 1683“ am Kahlenberg. Im selben Jahr erhalten Sellner und die französischen Identitären Spenden von dem Neonazi-Killer Brenton Tarrant. Auf dessen Waffe und Manifest stand „1683“, als er 50 Menschen in Neuseeland tötete.

I. Daniel

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