SPÖ, FPÖ und Jetzt sind am Montag zum „Kurz-Sturz“ entschlossen, das Protokoll.
Es ist einer der dramatischsten Tage der 2. Republik. Das Protokoll des 1. Kanzlersturzes. SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt stürzen am Montag im Nationalrat die Regierung Sebastian Kurz – und das trotz des ÖVP-Wahlsiegs vom Sonntag. Noch nie wurde einem Kanzler im Nationalrat das Misstrauen ausgesprochen. Es ist kurz vor 16.30 Uhr, als Kurz und seine (Ex-)Minister den Nationalrat verlassen – der erste Wahlkampfauftritt in der ÖVP-Parteiakademie ist da schon geplant. Das Protokoll:
SPÖ und FPÖ in Kontakt
➔ 9 Uhr: Die 52 SPÖ-Mandatare starten ihre Klubsitzung im Container auf dem Heldenplatz. Schon in der Nacht auf Montag hat das SPÖ-Präsidium beschlossen, dass die SPÖ einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung einbringen wird. Die SPÖ kann da schon nicht mehr zurück. Und: Es hat informelle Kontakte zwischen Rot und Blau gegeben, um die Abwahl des Kanzlers zu koordinieren.
➔ 10 Uhr: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka eröffnet die Sondersitzung. Zuerst werden vier FPÖ-Mandatare angelobt, darunter Herbert Kickl und Norbert Hofer. Sobotka unterbricht die Sitzung aber sofort wieder: Es gibt eine Dringliche Anfrage der SPÖ an Kurz, der jetzt drei Stunden Zeit für die Antwort hat.
FPÖ offiziell: Weg mit Kurz
➔ 10.15 Uhr: Die Parlamentsklubs von ÖVP und FPÖ beginnen ihre Klubsitzungen. Bei den Türkisen gibt es nicht viel zu besprechen, Kurz hat sich mit Klubchef August Wöginger schon am Abend zuvor abgesprochen: Die ÖVP tut nichts, um das Misstrauensvotum zu verzögern.
➔ 10.35 Uhr: Der neue Klubobmann Norbert Hofer macht klar: Die FPÖ werde dem Misstrauensantrag der SPÖ gegen die gesamte Regierung „wohl zustimmen“. Nicht einmal eine halbe Stunde später ist das dann offiziell und beschlossen: Die FPÖ will mit der SPÖ mitgehen. Damit ist das Ende der Amtszeit von Kurz an diesem Tage besiegelt: 103 Abgeordnete bringen allein Rot und Blau auf die Waage, mit der Liste Jetzt sind es am Ende 109 (nur die 2. NR-Präsidentin Doris Bures stimmt am Ende nicht mit, weil sie die Sitzung am Nachmittag leitet).
Bei VdB glühen die Handys
➔ 11 Uhr: In der Hofburg bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen glühen da längst alle Telefone – der Präsident braucht einen Übergangskanzler.
➔ 13.02 Uhr: Sobotka beginnt die Sitzung – und appelliert an alle, an die Würde des Parlaments zu denken. Er erteilt SPÖ-Klubvize Jörg Leichtfried das Wort, der dem Kanzler vorwirft: Kurz habe zwei Regierungen gesprengt.
➔ 13.25 Uhr: Kurz erhebt sich von der Regierungsbank – und erzählt seine Sicht der Geschichte: Nach diesem Sieg bei der EU-Wahl verstehe „niemand in diesem Land, dass Sie den Misstrauensantrag auf die gesamte Regierung ausdehnen“, sagt er zu Rendi.
Der Antrag auf Misstrauen
➔ 13.43 Uhr: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner tritt ans Rednerpult. Als sie den Willen des Volkes beschwört, gibt es wütende Zwischenrufe der 61 ÖVP-Abgeordneten.
➔ 13.51 Uhr: Es ist so weit: Rendi-Wagner bringt den Misstrauensantrag ein – „er ist ausreichend unterstützt und damit in Verhandlung“, wie Sobotka lakonisch bemerkt.
Heftige Debatte folgt
➔ 13.55 Uhr: ÖVP-Klubchef August Wöginger – er wird, wenn Kurz ins Parlament zurückkommt, seinen Sessel räumen müssen – beginnt eine durchaus lebhafte Debatte. „Unfassbar“ nennt er den Misstrauensantrag.
➔ 14.02 Uhr: Ex-Innenminister Herbert Kickl ist dran. Er begründet, warum auch die FPÖ Kurz abwählen will. Und er droht: „Ich gehe von neuen Enthüllungen aus, die das Sittenbild des Ibiza-Videos erblassen lassen werden“, sagt er in Richtung Kurz.
Dann ging es schnell
➔ 16.14 Uhr: Abstimmung. SPÖ, FPÖ und die Liste Jetzt sind wie erwartet für den Misstrauensantrag. „Angenommen“, erklärt Bures. Mit unbewegter Miene verlassen Kurz und die Ex-Minister den Saal. Kurz winkt noch den VP-Mandataren, einigen Mitarbeitern stehen die Tränen in den Augen.
➔ 18.30 Uhr: Kurz fährt in die Parteiakademie in der Tivoligasse – der 1. Wahlkampfauftritt: Er habe dem Bundespräsidenten eine „ordentliche Übergabe an die Übergangsregierung“ zugesagt – bis zur Wahl im Herbst, „da werden wir kämpfen". (gü)
Das sagt Rendi: "Zügelloser, schamloser Griff nach der Macht"
SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner rechnete in ihrer Rede mit dem Kanzler ab.
- Türkis-Blau als Fehler: „Sie sind als Kanzler gescheitert. Sie haben die Minister ausgewählt und tragen die Verantwortung für das Scheitern.“
- Das zweite Mal: „Ihre Politik stößt das Land zum zweiten Mal in Neuwahlen, weil Sie nicht das bekommen haben, was Sie wollten – das Innenministerium. Und nachdem Ihr Scheitern offensichtlich wurde, fordern Sie Stabilität.“
- Alleinregierung: „Nennen wir es beim Namen: Sie wollen Zustimmung zu einer ÖVP-Alleinregierung. Sie haben es aber versäumt, um eine stabile Unterstützung zu werben.“
- Frontalangriff: „Ihre Vorgangsweise ist einzigartig: Es ist ein schamloser, zügelloser und verantwortungsloser Griff nach der Macht, den wir hier sehen. Aber die Macht geht vom Volke aus – und nicht von Ihnen“ (wütende Zwischenrufe der ÖVPler).
- Attacke auf Kurz: „Es ist ungeheuerlich, jetzt Zustimmung und Vertrauen einzufordern, nur um Ihre Wünsche durchzusetzen. (…) Wer Vertrauen will, muss Verantwortung leben. Sie genießen das Vertrauen der SPÖ-Abgeordneten nicht. Ich stelle daher den Antrag: Der Nationalrat wolle beschließen, dem Bundeskanzler und der Regierung das Vertrauen zu versagen.“
Das sagt Kurz: "Das Misstrauen kann niemand nachvollziehen"
Sebastian Kurz rechtfertigt das Aufkündigen der Koalition und attackiert die SPÖ.
- Anpatzversuche: „Ich bin normal ein ruhiger Mensch, ich musste schon viel aushalten – jetzt ist es mir nicht leichtgefallen, ruhig zu bleiben. Ich lasse mich aber nicht provozieren. Ich gehe nicht auf Anpatzversuche des Abgeordneten Leichtfried ein.“
- Zäsur: „Die vergangene Woche war eine Zäsur in der politischen Arbeit. Ich bin aber sehr stolz und zufrieden mit der Arbeit, die geleistet wurde. Die Enthüllungen haben aber dazu geführt, dass diese Zusammenarbeit beendet werden musste.“
- Stabilität mit VdB: „Ich habe mich um Stabilität bemüht. Der Präsident hat mich beauftragt, eine Expertenregierung zu bilden. Binnen 24 Stunden habe ich die Experten gefunden.“
- Doch Verständigung: „Ich habe mit allen Parteichefs persönliche Gespräche geführt und bedanke mich bei den Neos für die konstruktive Herangehensweise.“
- Keine Kritik: „Bis heute gibt es keine einzige kritische Stimme zu den Experten. Im Gegenteil hat Doskozil gesagt, es geht um etwas anderes, es geht um Partei-Interna.“
- Verblüfft: „Ich verstehe die Rachegelüste anderer Parteien und den Versuch, eine bessere Ausgangsbasis für die Wahl zu haben. Ich verstehe aber nicht, dass es Reaktion auf das Wahlergebnis ist, den Misstrauensantrag auf die gesamte Regierung auszudehnen. Das kann niemand im Land nachvollziehen.“