Seit Monaten geht in der türkis-grünen Regierung kaum etwas weiter. Jetzt kommen zum Stillstand auch noch gegenseitige Attacken hinzu.
Vorläufiger Höhepunkt des Koalitionskrachs: Der grüne Vizekanzler Werner Kogler ritt am Samstag einen Frontal-Angriff gegen Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner - immerhin mächtigste Frau in der ÖVP. In einem profil-Interview bezeichnete Kogler Mikl-Leitners Bezug auf „normal denkende“ Menschen als „brandgefährlich und darüber hinaus präfaschistoid“.
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In der ÖVP gingen am Samstag dementsprechend die Wogen hoch: Der dritte Wiener Landtagspräsident Manfred Juraczka sprach sich gar für ein sofortiges Koalitions-Ende aus, die NÖ-ÖVP tobte und forderte eine Entschuldigung. Hinter den Kulissen überlegen ÖVP-Strategen schon seit längerem, wie sie die ungeliebte Koalition mit den Grünen beenden können.
Ein Regierungsinsider nennt gegenüber oe24 drei mögliche Szenarien:
Szenario 1: Totale Eskalation
Sollte der Streit zwischen ÖVP und Grünen völlig eskalieren, wäre bereits eine Neuwahl im Spätherbst/Winter möglich. Das Kalkül: Grüne und ÖVP würden sich über die Sommermonate weiter Unfreundlichkeiten ausrichten, bei den TV-Sommergesprächen würde der Streit mit gegenseitigen Anschuldigungen dann gipfeln. Die Koalition könnte in diesem Eskalationsszenario dann wohl mit dem Start der Parlamentsarbeit im September platzen.
Möglich wäre beispielsweise, dass es rund um das Thema Migration zum endgültigen Bruch kommt, wenn sich die Situation in den kommenden Wochen zuspitze und die Grünen Verschärfungen bei der Asyl-Linie blockieren. Denkbar wäre in diesem Fall eine Wahl Ende November/Anfang Dezember. Aber: Sowohl ÖVP und Grüne wollen eigentlich keine Wahl im heurigen Jahr mehr. Banaler Grund: Wenn erst im nächsten Jahr gewählt wird, würden die beiden Regierungsparteien auch 2024 noch die satte Parteienförderung in Millionenhöhe kassieren, die sie für den Wahlkampf gut brauchen können.
Szenario 2: Neuwahl vor EU-Wahl
Immer öfter hört man insbesondere in ÖVP-Kreisen das Szenario, dass die Nationalratswahl Anfang 2024 stattfinden soll. Was dafür spricht: Im Mai findet die EU-Wahl statt. Dort wird die FPÖ ordentlich abräumen, könnte sogar Platz 1 schaffen. Mit dem Turbo der EU-Wahl könnten Herbert Kickl und Co. dann in den Nationalratswahlkampf ziehen. Das wollen schwarze Strategen verhindern. Sie planen daher eine Wahl zum Frühlingsstart. Wahrscheinlichster Termin hierfür wäre wohl der März. Die Koalition würde dann wohl noch vor Weihnachten platzen. Die ÖVP-Strategen wollen dann einen möglichst kurzen Wahlkampf nach dem Vorbild der NÖ-Wahl im heurigen Jahr. Umso kürzer der Wahlkampf, umso schwerer würden sich Kickl und Babler tun, ihre Messages zu platzieren, mutmaßen die ÖVPler.
„Im März ist die Stimmung wieder besser, die Konjunktur sollte anziehen. Das wäre ein guter Zeitpunkt für eine Neuwahl“, so ein Regierungs-Insider. Die Frage ist nur: Wer kündigt die Koalition auf? Denn die ÖVP hat Angst, abgestraft zu werden, wenn sie die Regierungszusammenarbeit beendet. Dementsprechend will man die Grünen jetzt mit gezielten Nadelstichen provozieren. Die sollen vor allem aus Niederösterreich, Oberösterreich und Wien kommen – bis die Grünen die Nerven wegschmeißen. Koglers Verbal-Attacke auf Mikl-Leitner war scheinbar schon der erste Probelauf.
Szenario 3: Wahl erst im Herbst 2024
Freilich gibt es auch Stimmen im Umfeld um Kanzler Karl Nehammer, die sich derzeit aufgrund der schlechten Umfragewerte nicht in eine Wahl trauen. Dort setzt man auf das Prinzip „Aussitzen“. Die EU-Wahl soll zur Blitzableiter-Wahl werden. Die Wähler sollen dort ihrem Unmut über die Regierung Luft machen: „Bei der Nationalratswahl könnte die Stimmung dann wieder ganz anders aussehen und die Teuerung sollte in einem Jahr auch schon deutlich niedriger sein“, hofft ein ÖVP-Stratege. Ein riskanter Plan: Denn wenn die FPÖ bei der EU-Wahl Erster wird, könnte sie die Dynamik bis zur Nationalratswahl im Herbst mitnehmen und die ÖVP endgültig abräumen.