Der Finanzminister im großen INSIDER-Interview: Gernot Blümel (39) spricht über seine Ausstrahlung, Emotionen, seine Berater und über "Wien-Bashing".
INSIDER: Die Wien-Wahl ist geschlagen, jetzt wieder "nur noch" Finanzminister. Wofür blieb in den Wochen des Wahlkampfes keine Zeit?
Gernot Blümel: Alles Private. Das versuche ich jetzt aber wieder aufzuholen. Ich habe zumindest am Morgen diese eineinhalb, zwei Stunden mit meiner Tochter. Und da hoffe ich immer, dass sie gut aufgelegt ist. Und jetzt schau ich auch, dass ich wieder am Wochenende mehr Zeit für meine Familie habe.
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INSIDER: Sie sind Vater einer erst sieben Monate alten Tochter -gibt's da zu Hause manchmal intensive Gespräche über die private und berufliche Zukunftsplanung?
Blümel: Das stimmt. Aber irgendwie ist ohnehin nie der richtige Zeitpunkt, klar nach Planung zu leben. Deshalb habe ich auch nie versucht, das eine gegen das andere auszuspielen. Ich versuche das zu tun, was ich beruf lich für richtig halte, was mir Spaß macht. Eben das, mit dem man gestalten kann. Darum bin ich auch in die Politik gegangen. Dabei gleichzeitig eine Familie zu gründen geht nur dann, wenn die Frau und die ganze Familie einen unterstützt. Das war jetzt in der Corona-Phase extrem herausfordernd, da ja auch die Großeltern nicht helfen konnten. Was die Zukunftsplanung betrifft: Man macht sich natürlich Gedanken. Etwa wo unsere Tochter in den Kindergarten gehen wird - aber das sind die ganz normalen Gedanken jeder Familie.
Minister, Familienvater und Ex-Boxer
Mit 32 Jahren war Gernot Blümel schon Generalsekretär der ÖVP, mit 38 Jahren dann Finanzminister: Die Polit-Karriere des Ex-Hobby-Boxers verläuft steil nach oben, parallel zu jener von ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Ein Politik-Journalist schrieb bereits 2013 über die beiden türkisen Stars: „Es sind junge, karrierebewusste Männer, fleißig, gebildet, talentiert, loyal, sehr tough, im Cartellverband sozialisiert. Revolutionäre Ansichten sind ihnen fremd.“
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INSIDER: Wir durchleben aktuell eine extrem harte Wirtschaftskrise, und Sie wirken trotzdem stets gelassen: Was berührt den Finanzminister wirklich?
Blümel: Gelassen und ruhig? (lacht) Da müsstet ihr einmal Interviews mit meinen Mitarbeitern machen. (lacht) Und diese ganze Corona-Phase hat mich massiv beschäftigt, das nimmt man auch nach Hause mit. Da weiß man auch nicht: Was ist die hundertprozentig richtige Maßnahme? Weil das alles eben noch nie da war in unserer Geschichte. Bei jedem anderen Problem, das auftaucht, gibt's Erfahrungswerte. Und das Ausstrahlen von Gelassenheit ist auch Teil der Aufgabe: Wenn man jetzt in der Politik aufgrund der Ausstrahlung Panik verbreiten würde, wäre das wohl nicht das richtige Signal. Noch dazu sind wir mitten in einer Gratwanderung: Wenn wir jetzt Panik verbreiten, wird das sicher nicht dazu führen, dass der Konsum wieder anspringt. Eine paradoxe Stellung: Strahlt man die Schwierigkeit der Krise aus, oder zeigt man Optimismus? Wir haben ja auch die Aufgabe, Optimismus zu zeigen, um die Kauf kraft wieder anzukurbeln. Für Verzweif lung ist jedenfalls kein Platz.
INSIDER: Sie sagten in den vergangenen Wochen oft, dass Sie gerne mehr von einzelnen Unternehmern wissen wollen, die in Schwierigkeiten stecken - was war dabei die emotionalste Rückmeldung?
Blümel: Ja, ich habe viele Unternehmer persönlich getroffen. Die haben jahrelang ihr Herzblut in ihre Betriebe gesteckt, einen tollen Mitarbeiterstab aufgebaut. Die sitzen mit Tränen in den Augen da und sagen: "Ich muss jetzt Leute freisetzen, sonst ruiniert es den Betrieb." Das waren schon sehr emotionale Momente.
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INSIDER: Fragen Sie vor den TV-Auftritten und Pressekonferenzen der Bundesregierung auch manchmal Ihre Gattin, den Kanzler oder enge Freunde um Rat?
Blümel: Ja, natürlich frage ich immer wieder auch Sebastian, ob die Tonalität stimmt. Aber genauso auch mein unmittelbares Team und auch meine Frau, die medienerfahren ist. Sie hat ein gutes Gespür dafür, was wie ankommt. Sie ist für mich immer eine wertvolle Richtschnur.
INSIDER: Wer sind die Berater des Finanzministers? Auf wen hören Sie vor schwierigen Entscheidungen? Zählt da noch Michael Spindelegger dazu?
Blümel: Das mache ich regelmäßig, dass ich mit ehemaligen Politikern rede. Mit Michael Spindelegger oder auch Wolfgang Schüssel, das ist immer sehr wertvoll. Aber ich rede auch viel mit internationalen Amtskollegen, wie etwa dem irischen Finanzminister.
INSIDER: Für viel Aufregung hat der Antrag des Finanzministeriums für den staatlichen Fixkostenzuschuss II gesorgt. Waren Sie jetzt erfolgreich und was bedeutet das jetzt für Österreichs Unternehmen?
Blümel: Wir waren im Sommer im ständigen Kontakt mit den Unternehmern: Was braucht ihr? Wie können wir helfen? Mit all diesen Erfahrungen haben wir den Fixkostenzuschuss II konzipiert. Wir haben dann diesen Fixkostenzuschuss II nach dem selben Schema wie den Fixkostenzuschuss I notifizieren lassen. Wir waren dann sehr überrascht, dass die EU-Kommission gesagt hat: Das geht nicht, es gibt keine Naturkatastrophen mehr. Diese Einschätzung verstehe ich noch immer nicht. Was ist diese Corona-Pandemie, wenn nicht eine Naturkatastrophe? Wir haben jetzt einen Teilsieg errungen: Die Grenze ist von 800.000 auf drei Millionen Euro aufgestockt worden, das ist immerhin schon etwas. Aber am besten wär's, wenn wir das so machen könnten, wie wir das aufgesetzt haben. Und wenn sich die Situation in Europa weiter verschlechtert, wird die Kommission vielleicht zur Einsicht kommen, dass wir doch eine Naturkatastrophe erleben -und alles so genehmigen, wie wir es eingereicht haben.
INSIDER: Die Arbeitslosigkeit könnte im Winter laut Warnungen von SPÖ-Politikern auf bis zu 20 %in einzelnen Regionen steigen. Wie ist Ihre Prognose -und wie lange müssen wir noch auf den Aufschwung warten?
Blümel: Vorbei ist die Krise erst mit einem wirksamen Medikament oder mit einer Impfung. Bis dahin müssen wir Social Distancing praktizieren. Wir müssen auch versuchen, die Wintersaison zu retten. Ich verstehe auch nicht, warum in manchen Bereichen die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Wir haben jetzt dazu auch die Erhöhung des Arbeitslosengeldes in Debatte, weil die Situation am Arbeitsmarkt eine schwierige ist. Weiters haben wir eine Arbeitsstiftung aufgesetzt, mit der wir 100.000 Personen, die arbeitslos sind, umschulen wollen, damit sie eine neue Perspektive erhalten. Ich glaube, die Maßnahmen wirken auch. Das Wifo hat uns bestätigt, dass speziell der unterste Einkommensbereich keine Einkommensverluste hinnehmen muss. Das ist nicht nur volkswirtschaftlich, sondern auch moralisch richtig.
INSIDER: Der Kanzler und Sie sind immer um klare Kommunikation bei Themen der Corona-Krise bemüht. Könnte die Bundesregierung da nicht noch nachbessern?
Blümel: Jeder bemüht sich, sein Bestes zu geben. Auch in der Kommunikation. Natürlich gibt's Kritik, aber an beiden Varianten: An einer zu juristischen Kommunikation, die korrekt, aber zu kompliziert wirkt. Aber es gibt auch Kritik an einer zu einfachen Formulierung.
INSIDER: Sie bezeichneten in einem Interview "Wien als Bremsklotz einer Volkswirtschaft". Bleiben Sie dabei, und wie oft hörten Sie den Vorwurf des "Wien-Bashings"?
Blümel: Sehr oft, aber immer nur von der SPÖ. Es wäre ja absurd, in einer Demokratie nicht Herausforderungen, die es gibt, aufzeigen zu dürfen. Das wäre ja das Gegenteil von Demokratie. So lange ich lebe, werde ich mir immer das Recht herausnehmen, auf Entwicklungen, die ich als falsch empfinde, aufmerksam zu machen. Das empfinde ich auch als meine Pf licht, meine Aufgabe als überzeugter Demokrat. Und Kennzahlen belegen, dass sich Wien in den letzten 10, 15 Jahren schlechter als andere Bundesländer entwickelt hat -bei den Arbeitslosenzahlen, beim verfügbaren Haushaltseinkommen. Das sind Fakten. Nicht mehr und nicht weniger habe ich gesagt. Ich glaube, dass es in Wien besser gehen könnte.
INSIDER: Die türkis-grüne Koalition nach dem Ibiza-Skandal: Regiert es sich mit den Grünen unkomplizierter?
Blümel: Insgesamt läuft's sehr gut. Wir haben es geschafft, gemeinsam durch diese große Krise zu steuern. Auch mit Maßnahmen, die international sehr anerkannt waren. Aber eine gute Regierungsarbeit heißt nicht, dass es keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Im Gegenteil: Mit den Grünen ist es inhaltlich wesentlich anders zu regieren als damals mit der FPÖ, aber strukturell finde ich es sehr professionell.