Wiener Stadtrat spricht Klartext

Hacker: ''Gibt viele Sorgen von anderen, die ich gern hätte''

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Michael Ludwigs Gesundheitsstadtrat sprach mit dem INSIDER über Corona-Prognosen und den Wiener Koalitionspartner.

„Selbstverständlich werden wir Weihnachten mit den Großeltern feiern können – denn auch zu Weihnachten werden vernünftige Grundregeln gelten, um sich selbst und die Großeltern nicht dem Risiko einer wechselseitigen Infektion auszusetzen“, hält Peter Hacker (57) wenig von Angstmache, wie sie manchmal von der Bundesregierung kommuniziert wird. Und der SPÖ-Stadtrat stellt auch zum Thema Impfung klar: „Ich werde mich dann impfen lassen, wenn ein Impfstoff auf der Qualitätsbasis existiert, die wir in Österreich gewohnt sind.“ Sobald das garantiert ist, werde die Stadt Wien auch eine Corona-Gratisimpfung anbieten.

"Buchprojekte? Da reichen zwei Pensionisten-Leben nicht"

Grüne. Die Stimmung zwischen den rot-grünen Koalitionspartnern in Wien ist offenbar schon besser gewesen. So antwortet Peter Hacker auf die Frage, ob es ihn nicht nerve, dass sich der grüne Koalitionspartner fast ausschließlich für Planschbecken am Gürtel interessiert, während er mit seinem Team gegen eine Pandemie kämpft: „Es gibt viele Sorgen von anderen, die ich sehr gerne hätte.“

Und der Wiener Gesundheitspolitiker bestätigt, dass er auch „irgendwann“ ein Buch über das Krisenjahr 2020 schreiben wird: „Aber ich hab mir selbst schon so viele Bücher vorgenommen, da reichen zwei Leben als Pensionist nicht mehr dafür.“ Ziemlich sicher werden wohl einige Entscheidungen der Bundesregierung und speziell des Gesundheitsministers in Hackers Buch erwähnt werden.

Wiens Gesundheitsstadtrat Hacker (SPÖ) über Sinnvolles und Sinnloses bei den Corona-Maßnahmen.

INSIDER: Derzeit gibt’s etwa 1.800 aktive Infektions-Fälle in Wien – können Sie da noch gut schlafen?

Peter Hacker: Ich kann ganz problemlos schlafen. Von den 1.800 aktiven Fällen sind nur rund 80 im Spital und davon etwa ein Dutzend in Intensivbetten. Die Zahl der Infektionsfälle unter Seniorinnen und Senioren ist extrem gering. Das ist natürlich der Risikobereich in der Covid-19-Pandemie. Und in diesen Bereichen ist es uns gelungen, extrem gute, sehr konservative Sicherheitsmaßnahmen zusammenzubringen. Sie wissen ja, dass ich der einzige Landesrat in ganz Österreich bin, der eine Verordnung für die Pflegeheime und Spitäler erlassen hat. Um die Relation mit einer anderen Zahl zu verdeutlichen: Wir haben 80 PatientInnen mit einer Covid-19-Diagnose im Spital und weit über 5.000 Patientinnen und Patienten in den Wiener Spitälern zur Behandlung. Man muss auch diese Relation sehen. Wir dürfen auch nicht auf die anderen 4.920 Patientinnen und Patienten vergessen. Sie habe ich mindestens genauso am Radar und bereiten mir genauso Sorge. Denn meine Aufgabe ist, für sie ein genauso gutes Spitalssystem zu machen.

INSIDER: Welche Fallzahlen, welches Szenario würden Peter Hacker nicht mehr gut schlafen lassen?

Hacker: Das ist nicht eine Frage der Fallzahlen alleine, sondern eine Frage der Steigerung der Fallzahlen. Laut dem aktuellsten Bericht der AGES ist die effektive Reproduktionszahl für Wien wieder bei 1,0. Das bedeutet, dass das Infektionsgeschehen sich wieder eingependelt hat und wir derzeit eine solche Steigerung nicht erleben. Das liegt vor allem auch an unserer Teststrategie, mit der wir viele unentdeckte Fälle finden – seit Mai über 3.500 – und diese Fälle auch frühzeitig finden, sodass sie gar nicht erst zu großen Clustern werden können.

INSIDER: Die hohe Zahl an Testungen wird immer wieder betont – aber ist das nicht nur eine Momentaufnahme?

Hacker: Die hohe Zahl an Testungen ist keine Momentaufnahme, sondern zeigt schon seit einigen Monaten die großen Anstrengungen von Wien.

INSIDER: Wie bewerten Sie das Risiko steigender Infektionszahlen mit dem Schulbeginn?

Hacker: Professor Wenisch hat es letztens wunderbar auf den Punkt gebracht, und da möchte ich ihn gerne zitieren: „Covid-19 ist keine Kinderkrankheit, sondern betrifft uns Große.“ Was wir in Wien seit Mitte Juli aber schon haben, ist ein beschleunigtes Testprozedere. Jede Schule hat eine eigene Kontaktperson zur Gesundheitsbehörde. Im Verdachtsfall kann direkt ein mobiles Testteam angefordert werden und man kann sich so den Weg über 1450 sparen.

INSIDER: Sind die Maßnahmen und die Empfehlungen der Bundesregierung logisch und ausreichend?

Hacker: Die Empfehlungen der Bundesregierung sind nicht nur logisch, sondern eh schon seit Monaten bekannt. Wozu fast täglich die halbe Bundesregierung vor die Medien tritt, um die Bevölkerung daran zu erinnern, was ihr seit Monaten völlig klar ist, ist mir nicht ganz nachvollziehbar.

INSIDER: Die MA15, der Gesundheitsdienst der Stadt Wien, trägt in Wien die Hauptlast der Corona-Krise – sind die Personalressourcen ausreichend, wenn die Situation noch länger gleich bleibt?

Hacker: Klar ist, dass wir beim Wiener Gesundheitsdienst längst über der normalen Aufgabenstellung stehen. Daher ziehen wir ständig und laufend neues Personal hinzu, und das auf der Grundlage von sowohl internen als auch externen Ressourcen. Diese permanente Steigerung des Personals ist natürlich auch eine zusätzliche Belastung, da diese neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ständig neu eingeschult werden müssen.

INSIDER: Sie wären – als Gedankenspiel – nochmals am Beginn einer Pandemie. Was würden Sie anders machen?

Hacker: Ich würde von Anfang an stärker darauf drängen, dass die Dokumentationssysteme des Bundes besser funktionieren. Nicht jede Zahl ist automatisch eine Information. Ich glaube, dass dadurch auch einiges an Verwirrung oder Missinterpretation in der Bevölkerung entstanden ist.

INSIDER: Und was hätte die Bundesregierung anders machen sollen?

Hacker: Sie hätte für mehr Kontinuität sorgen müssen. Denn die Maßnahmen, die wir heute setzen, sind im Wesentlichen keine völlig neuen Maßnahmen, sondern bauen immer noch auf unseren Erkenntnissen der ersten beiden Monate auf. Im Wesentlichen sind keine neuen Maßnahmen dazugekommen. Daher hätte schon im Februar eine weitreichendere Konsequenzenplanung der Maßnahmen stattfinden können. Dann müssten wir uns heute nicht mit derartigen wirtschaftlichen Folgewirkungen beschäftigen.

INSIDER: Auch die MA15 erhält aktuell täglich Tausende Formulare mit Daten von Rückreisenden aus Risikoländern – ist das sinnvoll?

Hacker: Nein, das ist nicht sinnvoll. Weil es nur selbst ausgefüllte Zettel sind und überhaupt nicht klar ist, welche Bedeutung sie als Teil des Behördenverfahrens überhaupt haben. Insbesondere jetzt, wo im Erlass steht, dass diese nach zehn Tagen wieder zu vernichten sind. Gescheiter wäre es gewesen, allen ReiserückkehrerInnen ein freiwilliges und kostenloses Testangebot zur Verfügung zu stellen. In Wien haben wir gezeigt, dass das rasch und unkompliziert möglich ist.

INSIDER: Sie sprechen täglich mit vielen Experten – wie lautet ihre Corona-Prognose für die nächsten vier Monate?

Hacker: Die Prognose für die nächsten vier Monate lautet, wie ich sie in Interviews bereits im April und im Mai erzählt habe, das ist unverändert. In der Zeit der Schnupfen- und Grippephase ist davon auszugehen, dass die Zahl der Covid-Erkrankungen nach oben geht. Alles andere wäre überraschend. Darauf sind wir in Wien auch gut vorbereitet.

INSIDER: Wie sehen Sie die Prognose des Gesundheitsministers, dass es im Jänner 2021 in Österreich einen Impfstoff geben soll?

Hacker: Ich bewundere seinen Mut, derartige Prognosen abzugeben.

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