Österreichs Außenminister im Interview

Kurz: "EU muss sich so schnell wie möglich neu aufstellen"

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Außenminister Sebastian Kurz im ÖSTERREICH-Interview.

ÖSTERREICH: Wie haben Sie die historische Nacht erlebt?

Sebastian Kurz: Ich war in London und habe Meinungsforscher und Politiker getroffen. Alle meine Gesprächspartner gingen noch am Abend von einem Verbleib Großbritan­niens in der EU aus. Entsprechend schockiert war ich von der überraschenden Wende in der Nacht und dem endgültigen Ergebnis, das den Brexit gebracht hat.

ÖSTERREICH: Sie bezeichneten Brexit als Erdbeben – was jetzt?

Kurz: Einer der größten Mitgliedsstaaten der EU hat den Austritt beschlossen. Das ist definitiv ein Erdbeben. Die EU muss sich so schnell wie möglich neu aufstellen. Tempo und Ausmaß dieser Änderungen in der EU müssen nun enorm sein, damit es keine Ketten­reaktion in anderen Mitgliedsstaaten gibt. Die Sorgen, die die Briten haben, sind ja nicht auf Großbritannien beschränkt, sondern diese gibt es auch in anderen Mitgliedsländern.

ÖSTERREICH: Sie fordern, dass die EU umgebaut werden muss. Was sollte jetzt passieren?

Kurz: Die EU muss stärker in den großen Fragen wie bei der Migrationskrise und bei der ­gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werden. Hier erwarten sich die Bürger europäische Lösungen und Zusammenarbeit. In kleinen Fragen, die wir besser auf Ebene der Nationalstaaten oder Regionen regeln können, muss es möglich werden, dass diese vor Ort entschieden werden.

ÖSTERREICH: Wie schnell werden die Briten jetzt rausgehen?

Kurz: Artikel 50 des EU-Vertrages sieht eine zweijährige Frist für die Verhandlungen vor, diese kann aber einstimmig verlängert werden. Ich hoffe, dass wir die Verhandlungen ordentlich abwickeln, um mit einem neuen Abkommen die Basis für eine gute Zusammenarbeit mit Großbritannien zu schaffen. Das liegt im Interesse der EU und Großbritanniens.

ÖSTERREICH: Wie sehr trifft dieser Austrittsschock Österreich?

Kurz: Auch wir sind natürlich davon betroffen, alleine schon wirtschaftlich, Großbritannien ist unser achtgrößter Handelspartner und rund 25.000 Österreicher leben in Großbritannien. Daher sollten wir mit Großbritannien weiterhin eng zusammenarbeiten.

ÖSTERREICH: Wäre auch in Österreich eine Volksbefragung nach britischem Vorbild denkbar – FPÖ-Chef Strache deutete eine derartige Forderung an.

Kurz: Im Moment stellt sich die Frage, ob die EU zu den umfassenden Veränderungen, die nun notwendig sind, fähig ist.

ÖSTERREICH:
Zerbricht die EU an diesem Referendum?

Kurz: Die EU wird definitiv überleben, aber völlig verändert und neu aufgestellt.

ÖSTERREICH: Wird es zu einem Dominoeffekt kommen?

Kurz: Wenn man nicht will, dass sich das, was passiert ist, in anderen Staaten wiederholt, müssen wir die EU rasch umfassend reformieren. Bei akuten Herausforderungen, wie etwa der europäischen Migrationskrise, müssen wir rasch europäische Antworten finden. Karl Wendl

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