Lage in Afghanistan und bilaterale Handelsbeziehungen im Vordergrund.
Außenminister Michael Linhart (ÖVP) hat am Freitag den ersten seiner insgesamt vier Besuche in zentralasiatischen Staaten begonnen. Nach einem Treffen mit Präsident Sadyr Schaparow nimmt Linhart ab Mittag (Ortszeit) in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek am ersten EU-Central Asia Economic Forum teil. Danach steht noch ein Gespräch mit dem Amtskollegen Ruslan Kasakbajew auf dem Programm.
Ein Schwerpunkt der Reise in die postsowjetische Region, die Linhart bis Dienstag weiters nach Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan führen wird, ist der Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen. Der 63-jährige Diplomat wird daher unter anderem Termine im Rahmen des vom Außenministerium (BMEIA) propagierten Corona-Wiederaufbauprogramm ReFocus Austria wahrnehmen.
"In Zentralasien gibt es gerade in den Bereichen Digitalisierung, Wasserkraft, dem Krankenhaussektor oder der Wasser- und Abfallwirtschaft noch viel ungenutztes Potenzial", umriss Linhart die ökonomische Lage. "Es freut mich daher, dass ich auf meiner Reise von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet werde. Gemeinsam werden wir uns dafür einsetzen, den Wirtschaftsmotor Österreichs wieder anzukurbeln."
Die zentralasiatischen Staaten - der wirtschaftlich stärkste und bilateral größte Handelspartner, nämlich Kasachstan, stand nicht auf der Reiseroute - sind laut der Österreichischen Wirtschaftskammer (WKO) sämtlich reich an Rohstoffen. Alle liegen an der vordringlich von China forcierten "neuen" Seidenstraße.
Entsprechend sei die Region sowohl für Europa als auch für Österreich "strategisch bedeutsam", hieß es seitens der WKO gegenüber der APA. Die EU unterhalte Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit allen fünf zentralasiatischen Staaten und arbeite an einer Vertiefung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen.
Während in ökonomisch potenteren Ländern wie Kasachstan oder Usbekistan auch der Industriesektor rund um Öl- und Gasvorkommen eine bedeutende Rolle spielt, stehen laut WKO in den "ärmeren" Ländern wie Kirgisistan und Tadschikistan vor allem "Entwicklungsprojekte internationaler Finanzinstitutionen" im Vordergrund. In der Region wird aber auch in den Skitourismus (potenzielle Gäste werden vor allem in Indien, China oder Russland geortet) investiert, wovon etwa der Liftproduzent Doppelmayr profitiert.
Am Rande des Wirtschaftsforums von Bischkek ist am Freitag auch ein Austausch mit einem Sonderberater des kasachischen Präsidenten, Kassym-Schomart Tokajew, zur Lage in Afghanistan geplant. Dieses Thema steht auch bei den Treffen mit Präsident Schaparow und Außenminister Kasakbajew im Mittelpunkt.
Sicherheitspolitische Fragen sind in der Region äußerst virulent, schließlich grenzen drei der von Linhart besuchten Länder (Ausnahme ist Kirgistan) an Afghanistan, wo nach dem Rückzug der USA die radikalislamistischen Taliban die Macht übernommen haben.
Bereits bei einem Besuch in Katar hatte Linhart Ende Oktober davor gewarnt, "dass Afghanistan zum sicherheitspolitischen schwarzen Loch wird, zum Hort und gleichzeitig Exporteur des internationalen Terrorismus". Daher sei es besonders wichtig, mit den Staaten der Region eng zusammenzuarbeiten und gemeinsam Druck auf die Taliban aufzubauen.
Anlässlich der aktuellen Reise formulierte der Außenminister zudem: "Als unmittelbare Nachbarn Afghanistans spielen die zentralasiatischen Staaten eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Krise. Meine Reise ist daher ein Ausdruck der Solidarität und ein Angebot zur Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, das organisierte Verbrechen und den Menschenhandel. Damit möchte ich auch verdeutlichen, dass wir weder den Menschen in Afghanistan noch unseren zentralasiatischen Partnern den Rücken zukehren werden."
Es werde interessant, die Sicht der Länder in der Region bezüglich der Situation in Afghanistan einzuholen, so der Außenminister. "Sie bilden eine Art Schutzring um Afghanistan, da müssen wir ihnen den Rücken stärken." Längerfristig müsse die Internationale Gemeinschaft wohl einen Weg finden, mit den Taliban ein Handlungsbasis zu finden. Dazu seien aber gewisse Entwicklungen erforderlich, meinte Linhart und nannte den Zugang von Mädchen zum Schulunterricht als Beispiel. Jedenfalls müsse verhindert werden, dass Afghanistan zu einem Nährboden und Exporteur islamistischen Terrors werde, etwa in Gestalt der Jihadisten vom "Islamischen Staat" (IS/ISIS).
Vor dem Hintergrund der unsicheren Lage in Afghanistan hatte sich im September auch Russland einmal mehr an regionalen Militärmanövern beteiligt. Über 1.000 russische Soldaten nahmen in Kirgistan an Übungen mit Panzern und Kampfjets teil, bei denen auch Kräfte aus Kasachstan und Tadschikistan vertreten waren. Dort fanden im Oktober weitere Aktionen der Militäreinheiten statt.
Bei dem Manöver "Rubesch 2021" ("Grenze 2021") wurde vor allem die Abwehr von Terroristen trainiert. Russland verhandelt zwar seit langem mit den Taliban, beobachtet deren Vorgehen in Afghanistan aber auch mit Sorge. So warnt Moskau vor islamistischen Kämpfern, die in ehemals sowjetische Gebiete eindringen könnten. Auch der Drogen- und Waffenschmuggel drohe zuzunehmen.
Vor allem während des Vormarsches der Radikalislamisten in Afghanistan war es auch zu Fluchtbewegungen gekommen. Betroffen war vor allem Tadschikistan. Usbekistan und Turkmenistan machten die Grenzen dicht. Auch unter dem Verweis auf oder dem Vorwand der Corona-Pandemie.
Kirgistan selbst erlebte freilich auch ohne äußeren Einfluss zuletzt turbulente Zeiten, die manche Experten sogar als "Putsch" klassifizieren. Der aktuelle Präsident Schaparow war im Oktober 2020 aus dem Gefängnis befreit worden, wo er wegen einer Geiselnahme eine Haftstrafe verbüßt hatte. Es kam zu Machtkämpfen rivalisierender politischer Gruppierungen, wobei Schaparow die meisten Anhänger mobilisieren konnte. Nicht zuletzt deshalb, weil er am besten bezahlte, wird in Bischkek mitunter gemunkelt. Der Nationalist übernahm danach den Posten des Regierungschefs, drängte Staatschef Sooronbaj Dscheenbekow aus dem Amt und ließ sich nach einer umstrittenen Wahl im Jänner selbst zum Präsidenten ernennen.
Im April verwandelte Schaparow das Hochgebirgsland an der Grenze zu China per Volksvotum mit einer umstrittenen Verfassungsänderung von einer Parlaments- zurück in eine Präsidialrepublik. Mitte Oktober entließ Schaparow die Regierung. Es kam auch zu mitunter heftigen Protesten. Mit der neuen Verfassung ging auch ein Ausbau von Schaparows Vollmachten einher. So darf er nun etwa über die Zusammensetzung der Regierung in der Ex-Sowjetrepublik bestimmen. Zuvor wurden deren Mitglieder vom Parlament ernannt.
Menschenrechtsaktivisten warnen vor zunehmend autoritären Strukturen im krisengeschüttelten Kirgistan. Gegenüber ausländischen Diplomaten werde argumentiert, dass mit der neuen Verfassung notwendige Reformen schneller umgesetzt werden könnten, ist in Bischkek zu hören. Für latente Unruhe sorgt aber auch ein Grenzstreit mit Tadschikistan, bei dem es unter anderem um Wasser-und Mineralienressourcen oder ethnische Fragen geht. Gelegentliche Scharmützel fordern durchaus auch Tote. Zuletzt gab es im Frühjahr Dutzende Todesopfer auf beiden Seiten. In Diplomatenkreisen ist man aber optimistisch. Es gebe ständig Verhandlungen, heißt es, letztlich seien gerade fünf Prozent der gemeinsamen Grenze noch umstritten. Andere politische Beobachter sehen die Situation weniger rosig: Die Verhandlungen seien wenig ergiebig, der Konflikt könne jederzeit wieder eskalieren.