Erst nach fünf Jahren Wartezeit bekommen Ausländer Mindestsicherung.
Die Regierung hat am Dienstag zum Abschluss ihrer Klausur in Mauerbach wie erwartet eine Reform der Mindestsicherung vereinbart. Ziel ist, dass die Leistung zwischen den Bundesländern annähernd gleich hoch ist. Zudem werden Großfamilien niedrigere Bezüge lukrieren und wird es für Ausländer schwieriger, die Mindestsicherung überhaupt zu erhalten.
Zuwanderung ins Sozialsystem verhindern
Wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ausführte, gehe es darum, Zuwanderung ins österreichische Sozialsystem zu verhindern. Zudem gelte es, mehr Anreize zu schaffen, arbeiten zu gehen. Dass es überhaupt eine Reform braucht, begründete Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) etwa mit den "explodierenden Kosten".
Die Mindestsicherung als Basis bleibt mit 863 Euro am aktuellen Niveau, wobei zwei Teile davon flexibel sind. Die Länder können auch einen niedrigeren Wert vorsehen, wenn die Wohnkosten in ihrem Gebiet entsprechend niedriger sind. Zudem werden 300 Euro nur dann ausgeschüttet, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind.
"Arbeitsqualifizierungsbonus"
Die Regierung nennt letzteres "Arbeitsqualifizierungsbonus". Dieser bedeutet im Wesentlichen eine Positiv-Diskriminierung von Inländern, ist doch eine der Voraussetzungen bloß die Absolvierung der Pflichtschule. Andere müssen hingegen Deutsch auf Niveau B1 oder Englisch-Kenntnisse auf dem hohen Level C1 vorweisen, das übrigens nach einer Übergangszeit auch schon für gegenwärtige Bezieher. Zudem ist etwa die Integrationsvereinbarung zu absolvieren. Ausgenommen sind Menschen mit Behinderungen oder Betreuungspflichten.
Wer kein anerkannter Flüchtling ist, hat ohnehin fünf Jahre zu warten, bis er anspruchsberechtigt ist. Bisher gab es für EU-Ausländer in gewissen Fällen die Möglichkeit, Mindestsicherung zu beziehen, etwa um ein niedriges Einkommen aufzustocken.
Degressive Regelung bei Kinderzuschlägen
Keine guten Nachrichten gibt es für Großfamilien. Denn es kommt zwar nach der Ablehnung des VfGH für das entsprechende niederösterreichische Modell kein Deckel, wie ihn die Regierung geplant hatte. Durch eine degressive Regelung bei den Kinderzuschlägen wird der Gesamtbezug aber deutlich gesenkt.
Für das erste Kind gibt es zwar maximal 25 Prozent der Leistung, was sogar mehr ist als derzeit in mehreren Länder-Regelungen, aber dann geht es deutlich bergab. Für das zweite Kind sind es noch 15 Prozent und für das dritte überhaupt nur noch fünf Prozent. Vor allem für Familien in Wien würde das empfindliche Verluste bedeuten, bekommt man doch in der Bundeshauptstadt aktuell für jedes Kind sogar mehr als 25 Prozent. Immerhin: Ausnahmen sind für Alleinerzieher vorgesehen, die deutlich höhere Beträge erhalten sollen.
Beschluss im Herbst
Derzeit liegt der Entwurf nur als Punktation vor. Der tatsächliche Gesetzesvorschlag soll bis Ende Juni in Begutachtung geschickt und im Herbst beschlossen werden. Wie auch immer die Länder dazu stehen, das neue Modell soll für sie bindend sein. Freundlich äußerte sich bereits Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die ein von ihrem Land erarbeitetes Modell als Basis für den Regierungsbeschluss sieht. Auch Oberösterreich äußerte sich positiv, das rot-grün regierte Wien zunächst abwartend. Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) erwartet noch Verhandlungen mit den Ländern.
Verfassungsprobleme sieht die Regierung jedenfalls nicht mehr. Es handle sich um ein "verfassungskonformes, aber gleichzeitig gerechtes System", versicherte Kurz, der freilich einräumte, dass natürlich der VfGH das letzte Wort habe.
300 Euro-Bonus EU- & verfassungsrechtlich heikel
Die geplante Mindestsicherungs-Regelung ist nicht unbedingt verfassungs- bzw. EU-rechtskonform. Juristen halten den 300 Euro Arbeitsqualifizierungsbonus für problematisch. Das EU-Recht gebiete für Asylberechtigte den gleichen Zugang zu Sozialhilfe wie für Staatsangehörige, stellte EU-Rechtler Franz Leidenmühler fest. Für Theo Öhlinger ist fraglich, ob die verbleibenden 563 Euro genug sind.
Die Regierung bleibt in ihrem Plan für eine bundesweite Regelung zwar prinzipiell bei 863 Euro Basis. Aber 300 Euro davon sollen nur an Inländer (mit Pflichtschulabschluss) bzw. Ausländer mit guten Deutsch- oder sehr guten Englischkenntnissen ausgeschüttet werden.
Das wäre aus Sicht des Linzer Europarechtlers Leidenmühler rechtswidrig. Den vollen Bezug an die Deutschkenntnisse zu koppeln widerspreche einer EU-Richtlinie, wonach Asylberechtigte den gleichen Zugang zu notwendiger Sozialhilfe haben müssen wie Staatsbürger: "Es darf daher für Asylberechtigte keinerlei diskriminierende Zugangsvoraussetzung geben - was der Nachweis von Sprachkenntnissen wäre", sagte er laut "Standard".
Wartefrist "prinzipiell zulässig"
Ohne diesen Bonus bleiben für den Erstbezieher 563 Euro (plus niedrigere Beträge für weitere Personen bzw. Kinder im Haushalt). Ob damit ein Mindestmaß an Existenz in Würde gesichert ist, sei "sehr fraglich, das müsste man näher prüfen", sagte der Verfassungsrechtler Öhlinger zur APA. Und auch er sieht eine mögliche Ungleichbehandlung von anerkannten Flüchtlingen beim erforderlichen Nachweis von Deutschkenntnissen.
Dass nicht anerkannte Flüchtlinge eine Wartefrist auf Mindestsicherung haben - und damit verhindert wird, dass Menschen nur wegen Sozialleistungen nach Österreich kommen - ist für Öhlinger prinzipiell zulässig. Fraglich ist für ihn aber die Dauer. Die von der Regierung geplanten (ausnahmslos) fünf Jahre für alle EU-Bürger und nicht asylberechtigte Drittstaatsangehörige könnten aus seiner Sicht zu lang sein.