Politologe Herfried Münkler: Das Land ist auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen.
Der deutsche Politologe und Historiker Herfried Münkler hat eine nachhaltige Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt gefordert. Österreich und Deutschland seien wegen der rückläufigen Geburtenraten auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen, betonte er im Rahmen der von der Arbeiterkammer organisierten Diskussionsreihe "Wiener Stadtgespräche" am Dienstag in Wien.
"Die Migration wird wohl zunehmen", sagte Münkler während der von Peter Huemer moderierten Diskussion. Die Integration über den Arbeitsmarkt habe sich am besten bewährt: "Wir haben Interesse daran, die Migranten zu halten und ihnen guten Lohn zu zahlen", so der Wissenschafter. Die Islamfrage ist für ihn zweitrangig: "Kluge Integrationspolitik thematisiert nicht das Fremde, sondern das Verbindende", sagte er.
Annäherung an Visegrád-Staaten
Aufgrund des Ergebnisses der Nationalratswahl erwartet Münkler eine Annäherung Österreichs an die Visegrád-Staaten, denen er in der Flüchtlingsfrage "nachhaltige Solidaritätsverweigerung" vorwarf. Die FPÖ habe eine "emotionale Nähe" zum russischen Präsident Wladimir Putin, ÖVP-Chef Sebastian Kurz eine "emotionale Nähe" zum ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Die gute wirtschaftliche Situation Österreichs verdanke man jedenfalls der Vorgängerregierung.
Für den Experten könnte der Brexit als Vorwand für weniger EU-Beihilfen an die Visegrád-Staaten dienen, wenngleich Gratifikationen "die elegantere Lösung" darstellten. Für ihn hat der Brexit zudem positives Potenzial, denn Großbritannien habe in der EU viel blockiert, wie eine gemeinsame Verteidigungs- und Steuerpolitik. "Da kommt jetzt eventuell Bewegung rein", hofft der Politologe.
Ein Grund für die zunehmende EU-Skepsis ist für Münkler das Bröckeln der "großen Erzählung": Die EU als Friedensprojekt allein sei nicht mehr attraktiv. Lange Zeit sei nicht ernst genommen worden, wie wichtig diese "motivationale Ressource" für die EU sei. "Die Rechtspopulisten agieren dagegen, indem sie eine pure Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen", analysierte er. Laut Münkler hätte der Umgang mit den Flüchtlingen das Potenzial dafür gehabt, zur neuen "großen Erzählung" der EU zu werden. Diese Chance sei jedoch vertan worden.
Als Beginn einer positiven Entwicklung in der EU verwies der Politologe auf die Bemühungen des französischen Regierungschefs Emmanuel Macron, die "deutsch-französische Achse" wieder herzustellen, um die EU wieder "in Bewegung zu bringen". Deutschland müsse zudem seine Führungsrolle in der EU akzeptieren, wenngleich es sie nie angestrebt habe. "Europa lebt von der "Arbeit, Intelligenz und Innovation", fügte er hinzu.