Studie: Abgeordnete in elf Ländern leben deutlich länger als die Bevölkerung, die sie vertreten.
Politiker leben deutlich länger als die Bevölkerung, die sie vertreten. Das zeigt eine im "European Journal of Epidemiology" veröffentlichte Studie britischer und australischer Forscher, die Daten von mehr als 57.000 Politikern aus elf Ländern, darunter Österreich, analysiert haben. Demnach wiesen Politiker im frühen 20. Jahrhundert noch ähnliche Sterblichkeitsraten auf wie die Allgemeinbevölkerung. Seither haben sich die Unterschiede aber erheblich vergrößert.
Hintergrund der Arbeit ist die Tatsache, dass sich in den vergangenen Jahren die Lebenserwartung in vielen Ländern mit hohem Einkommen nicht mehr weiter verbessert hat und in den ärmsten Bevölkerungsgruppen sogar zurückgegangen ist. Dies wird auf zunehmende Ungleichheiten zurückgeführt, verstärkt etwa durch die Coronapandemie. Die Frage ist, ob bestimmte Berufe mit hohem Status, also etwa jener des Politikers, mit besserer Gesundheit und damit höherer Lebenserwartung verbunden sind.
Die Forscher um Philip Clarke vom Health Economics Research Centre der Universität Oxford haben in der Studie die Daten von 57.561 Abgeordneten aus Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Niederlande, Neuseeland, Schweiz, USA und Österreich, also Länder mit hohem Einkommen, analysiert. Für alle Staaten lagen dabei Daten für die Zeit zwischen 1945 und 2014 vor, für einzelne Länder aber auch für viel längere Zeiträume, etwa für Frankreich von 1816 bis 2016. Der Frauenanteil spannte sich dabei von drei Prozent (Frankreich und USA) bis zu 21 Prozent (Deutschland). Aus Österreich flossen Daten von 2.664 Abgeordneten (16 Prozent Frauenanteil) aus dem Zeitraum 1918-2017 ein.
Die Analyse zeigte, dass Politiker im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in fast allen Ländern ähnliche Sterblichkeitsraten aufwiesen wie die Allgemeinbevölkerung. Doch im Laufe des 20. Jahrhunderts nahmen die Unterschiede in allen Ländern erheblich zu. Das Ergebnis dieser Entwicklung: "Politiker haben einen zunehmenden Überlebensvorteil gegenüber der Allgemeinbevölkerung", schreiben die Forscher.
Das Ausmaß dieses Vorteils ist sehr unterschiedlich: So war in Italien die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bürger innerhalb des nächsten Jahres stirbt, 2,2-mal so hoch wie jene eines Politikers gleichen Alters und Geschlechts. In Neuseeland war diese Wahrscheinlichkeit dagegen nur 1,2-mal so hoch. In Österreich ist die Wahrscheinlichkeit für eine Person aus der Allgemeinbevölkerung, innerhalb des nächsten Jahres zu sterben, 1,33-mal höher als die eines Politikers.
Auch der Unterschied in der Lebenserwartung im Alter von 45 Jahren zwischen Politikern und der Bevölkerung hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich erhöht: Die Differenz liegt hier zwischen rund drei Jahren in der Schweiz und sieben Jahren in den USA. In Österreich hat der Studie zufolge ein 45-jähriger Politiker eine Lebenserwartung von weiteren 40,1 Jahren, eine gleichaltrige Person aus der Allgemeinbevölkerung hat aber nur weitere 36,2 Jahre vor sich - die Differenz beträgt hierzulande also 3,9 Jahre.
"Die größten Unterschiede in der Lebenserwartung hat es in Österreich in den 1970er und 1980er Jahren gegeben", erklärte Philip Clarke gegenüber der APA. Der rasche Anstieg der Lebenserwartung der Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten habe zu einer Verringerung dieser Unterschiede geführt - von etwa sechs auf nun knapp vier Jahre.
Einen Teil der Unterschiede in den elf Ländern könnte den Wissenschaftern zufolge das in der Regel überdurchschnittlich hohe Gehalt von Politikern erklären. Die Ergebnisse würden aber darauf hindeuten, dass auch andere Faktoren eine Rolle spielen. Denn die Unterschiede in der Lebenserwartung begannen schon ein halbes Jahrhundert früher größer zu werden, als die Einkommensungleichheit.