Eine turbulente erste Woche für SP-Chefin Rendi-Wagner. Jetzt will sie Partei hinter sich einen.
Erst tagelange Schelte, dann minutenlange Standing Ovations. Pamela Rendi-Wagner musste diese Woche durch ein Wechselbad der Gefühle. Am Dienstag wurde sie zur ersten weiblichen Parteichefin der SPÖ, am Mittwoch bereits die ersten Querschüsse aus den eigenen Reihen: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ließ ihr ausrichten, dass sie sich mit der Doppelfunktion von SPÖ-Partei- und -Klubchefin eine „starke persönliche Belastung“ aufbürde.
Dass sie ohne Absprache Klubchef Andreas Schieder ablösen ließ, wird in Wien nicht goutiert. Überhaupt vertieften ihre ersten Personalentscheidungen die Gräben in der SPÖ: Weil der „bodenständige“ Max Lercher als Bundesgeschäftsführer von „Bobo“ Thomas Drozda abgelöst wurde, machte sich Unmut in den roten Landesorganisationen – allen voran der Steiermark – breit.
SP-Länderchefs bestehen darauf, "gehört zu werden"
Dennoch: Als Rendi-Wagner dann am Samstag ihren ersten Auftritt als SPÖ-Chefin beim niederösterreichischen Landesparteitag in Schwechat absolvierte, warteten tosender Applaus, Selfie-Anfragen und ein meterlanges „PAAAAAAAAAAAAAAAAAAM!“-Transparent (18 Mal A) auf die Ex-Gesundheitsministerin. Die lieferte in ihrer Rede gleich einmal eine Kampfansage: Sie wolle die SPÖ „wieder zur Nummer eins“ machen.
Tour. Zunächst muss die studierte Medizinerin aber die Partei hinter sich einen. Gelingen soll das mit einer Charmeoffensive, wie sie im ÖSTERREICH-Interview (s. Seite rechts) verrät: Nach NÖ sind am Montag Wien und am Mittwoch die Steiermark dran: „Dann toure ich durch alle Bundesländer.“ Sie wolle jetzt „so schnell wie möglich mit Gewerkschaft, Frauen und Jugendorganisationen sprechen“.
Ausgeredet? Schon die letzten Tage verbrachte Rendi am Telefon, etwa mit dem steirischen Vize-LH Andreas Schickhofer: „Ich habe ihre Sicht der Dinge verstanden, sie wollte einen Vertrauten im Team haben“, berichtet er vom Gespräch. Und: „In der Steiermark sagt man: Wenn’s ausg’redt is, is ausg’redt.“ Er besteht aber – ebenso wie Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (s. Interview) – darauf, künftig „gehört zu werden“.
"Bin kein Bobo, bin ein Kind aus dem Gemeindebau"
ÖSTERREICH: Wann hat Christian Kern Sie eigentlich davon informiert, dass er den Parteivorsitz zurücklegt?
Pamela REndi-Wagner: Ich saß an diesem Tag im Gesundheitsausschuss im Parlament und habe währenddessen die Online-Meldung gesehen. Es gab in der Zeit davor Andeutungen und Überlegungen seinerseits, bei denen er auch die EU-Kandidatur thematisiert hat. Aber dass er zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zurücktritt, war für mich genauso überraschend wie für Sie.
ÖSTERREICH: Dann ging ja alles ganz schnell. Wann haben Sie für sich den Entschluss gefasst, dass Sie die SPÖ übernehmen wollen?
Rendi-Wagner: So wie nach dem Tod von Sabine Oberhauser, als ich das Gesundheitsministerium übernommen habe, hatte ich auch diesmal wenig Zeit, mir das zu überlegen. Das ist eine Lebensentscheidung, die man hier trifft. Das musste ich natürlich mit meiner Familie und meinem Mann besprechen. Natürlich fragt man sich: Kann ich das, kann ich die Verantwortung übernehmen? Aber ich habe zu mir gesagt, wenn ich die Möglichkeit habe, etwas zu verändern, einen Beitrag zu leisten, dann tu ich das.
ÖSTERREICH: Wie hat Ihre Familie reagiert?
Rendi-Wagner: Mein Mann war immer mein größter Unterstützer bei allen beruflichen Entscheidungen, die ich im Leben getroffen habe. Er hat gesagt: „Mach es!“
ÖSTERREICH: Kern hat gesagt, er wäre nicht als Oppositionspolitiker geeignet gewesen, weil es nicht sein Stil sei, mit dem Bihänder auf andere einzudreschen.
Rendi-Wagner: Was ist mir in der Oppositionspolitik wichtig. Das Erste ist, wir müssen über das Parlament und über Untersuchungsausschüsse eine Kontrolle über die Regierung ausüben. Zweitens glaube ich, dass wir in der Opposition mehr thematische Allianzen eingehen müssen mit der Zivilgesellschaft wie beispielsweise beim Frauen- und „Don’t Smoke“-Volksbegehren“. Und drittens verstehe ich Oppositionspolitik auch konstruktiv. Ich möchte der Regierung auch die Hand ausstrecken und sagen, dort, wo ihr gute Arbeit leistet, gehen wir ein Stück des Weges gemeinsam. Der Bihänder ist jedenfalls nicht mein Stil.
ÖSTERREICH: Haben Sie eigentlich ein politisches Vorbild?
REndi-Wagner: Es gab viele große Sozialdemokratinnen, Hertha Firnberg ist für mich schon eine große Wissenschaftsministerin unter Kreisky gewesen.
ÖSTERREICH: Wie sind Sie eigentlich zur SPÖ gekommen? Viele sagen ja, Sie würden eigentlich besser zu den Neos passen …
Rendi-Wagner: Ich bin Wienerin, im 10. Bezirk aufgewachsen, groß geworden mit einer jungen alleinerziehenden Mutter und in Favoriten und Meidling zur Schule gegangen. Ich war übrigens im selben Gymnasium wie Sebastian Kurz – das ist aber auch schon unsere einzige Gemeinsamkeit. Diese Zeit hat mich geprägt. Ich wäre heute nicht hier, hätte es die sozialdemokratischen Errungenschaften nicht gegeben: Die Kindergärten für alle in Wien, den sozialen Wohnbau, wo wir gewohnt haben, die Schulen, wo ich war, freien Universitätszugang. Das sind Dinge, die mir mein Leben eröffnet haben – und dafür steht die SPÖ.
ÖSTERREICH: Haben Sie jemals eine andere Partei gewählt als die SPÖ?
Rendi-Wagner: (denkt kurz nach) Nein.
ÖSTERREICH: In den letzten Tagen gab es viel Gegenwind aus der Partei. Haben Sie damit gerechnet?
Rendi-Wagner: Wichtig ist, dass ich einstimmig vom Parteivorstand als Kandidatin für die nächste Parteivorsitzende gewählt wurde. Das hat mir die Kraft und den Rückhalt gegeben, den ich brauche. Es ist eine große Verantwortung, die ich übernommen habe. Und selbstverständlich möchte ich, dass in Schlüsselpositionen Menschen arbeiten, denen ich vertraue – Thomas Drozda zum Beispiel, der die Partei gut kennt. Diesen Anspruch habe ich gestellt, um dieser großen Aufgabe gerecht zu werden.
ÖSTERREICH: Und warum haben Sie Max Lercher als Bundesgeschäftsführer abgelöst – es hätte ja auch eine Doppelspitze in der Parteizentrale geben können.
Rendi-Wagner: Es war keine Entscheidung gegen Max Lercher, es war eine Entscheidung für Thomas Drozda, weil ich mir bei ihm sicher bin, dass wir gut zusammenarbeiten können. Und was den Parlamentsklub betrifft, habe ich mich dazu entschieden, diesen alleine als Klubobfrau zu leiten. Auch das war keine Entscheidung gegen Andreas Schieder. Und es war klar, dass die Bundesländer Wien und Steiermark, aus denen die beiden kommen, beide jeweils unterstützen werden.
ÖSTERREICH: Der Wiener Bürgermeister meint, dass Sie sich mit der Doppelfunktion Partei- und Klubvorsitz zu viel zumuten.
Rendi-Wagner: Michael Ludwig hat selbst eine Doppelfunktion, auch Christian Kern war Bundeskanzler und Parteivorsitzender. Ich habe noch nie eine Herausforderung gescheut.
ÖSTERREICH: Was hat Michael Ludwig sich bei dieser Wortmeldung gedacht?
Rendi-Wagner: Das müssten Sie Michael Ludwig fragen, was seine Gedanken dazu waren.
ÖSTERREICH: Hinter vorgehaltener Hand wird Ihnen auch vorgeworfen, dass Sie erst seit 1,5 Jahren SPÖ-Mitglied sind.
Rendi-Wagner: Ich glaube, es war ein wichtiger und mutiger Schritt seitens der Partei, mich zur Vorsitzenden zu wählen. Das ist ein starkes Zeichen für die Öffnung der Partei. Ich bin zwar noch nicht sehr lange in der Politik, aber ich habe in diesen 1,5 Jahren in der Politik sehr viel gesehen. Ich war Ministerin, habe einen Wahlkampf auf Listenplatz 2 bestritten und ich bin nun in der Opposition. Ich habe auch den Parlamentsklub sehr gut kennengelernt. Ich möchte, dass sich Parlamentsklub und Bundesparteizentrale künftig besser abstimmen.
ÖSTERREICH: Der neuen SPÖ-Führung wird vorgeworfen, zu abgehoben zu sein. Sie wurden als „Bobos“ bezeichnet.
Rendi-Wagner: Ich halte von diesen Schubladen, in die man Leute steckt, ganz wenig. Ich bin im 10. Bezirk in einem Gemeindebau aufgewachsen. Ich bin jedenfalls kein Bobo.
ÖSTERREICH: Wie zerstritten ist die SPÖ eigentlich?
Rendi-Wagner: Ich nutze die Zeit jetzt intensiv, um mit den Parteikollegen in den Bundesländern in den Dialog zu kommen. Ich war bereits bei der Gewerkschaft und am Samstag in Niederösterreich, am Montag bin ich in Wien und nächste Woche bin ich in der Steiermark, dann toure ich durch alle Bundesländer. Ich werde jetzt auch so schnell wie möglich mit Gewerkschaft, Frauen und Jugendorganisationen sprechen. Ich möchte mit der Breite der sozialdemokratischen Familie in den Dialog kommen.
ÖSTERREICH: Ist die Politik ein Macho-Revier?
Rendi-Wagner: Wir haben – wie in allen anderen Feldern – auch in der Politik mehr Männer in den Führungspositionen. Es ist wichtig, dass wir die gläserne Decke nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik durchbrechen. Dadurch, dass wir bei der SPÖ jetzt eine Parteivorsitzende haben, hat diese Decke einen ordentlichen Sprung bekommen. Diese Regierung macht jedenfalls keine frauenfreundliche Politik, die die Gleichstellung von Mann und Frau verfolgt. Hier wird eine Politik betrieben, die die soziale Sicherheit im Land gefährdet. Stichwort Zerschlagung der Sozialversicherung und Gefährdung des Gesundheitssystems. Die Regierung nimmt eine halbe Milliarde Euro und gibt das Geld den Konzernen.
ÖSTERREICH: Die Sozialdemokratie ist in ganz Europa in einer Krise. Wie wollen Sie die SPÖ zukunftsfit machen?
Rendi-Wagner: Mein Anspruch ist, dass die SPÖ noch deutlicher eine weltoffene, moderne Partei wird. Ich werde alles tun, dass wir Nummer 1 in diesem Land werden, spätestens 2022 bei der Nationalratswahl.
ÖSTERREICH: Sie wollen Österreichs erste Bundeskanzlerin werden?
Rendi-Wagner: Ja, selbstverständlich.
ÖSTERREICH: Zum Thema Zuwanderung und Asyl hat man von Ihnen bisher wenig gehört …
Rendi-Wagner: Die Partei hat erkannt, dass das ein wichtiges Thema ist. Deswegen haben Kaiser und Doskozil ein gutes Migrationspapier erarbeitet – zu dem stehe ich auch. Aber ein Papier alleine ist natürlich noch keine Politik. Dazu braucht es auch konkrete Ableitungen. Ich habe klar gemacht, dass ich unverhandelbare und nicht diskutierbare Prinzipien habe, was die Gleichstellung von Mann und Frau, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit betrifft.
ÖSTERREICH: Sind Sie für ein Kopftuchverbot in Schulen und Kindergärten?
Rendi-Wagner: Also grundsätzlich bin ich natürlich dagegen, dass Mädchen gezwungen werden, Kopftücher zu tragen. Aber durch ein Kopftuchverbot alleine wird die Integrationsfrage nicht gelöst.
ÖSTERREICH: War es ein Fehler, 2015 die Grenzen zu öffnen?
Rendi-Wagner: Ich denke, das war eine Situation, die haben wir so und die hat Europa so noch nie zuvor gesehen. Ich glaube, dass es in dieser Situation eine Entscheidung war, die nur so zu fällen gewesen ist. Da waren keine anderen Möglichkeiten da. Wir sollten uns künftig aber nicht nur damit beschäftigen, ob wir eine Grenze auf- oder zumachen, sondern mit der Bekämpfung der Fluchtursachen.
ÖSTERREICH: Die Frage, die jeder SPÖ-Chef beantworten muss: Wie halten Sie es mit der FPÖ?
Rendi-Wagner: Wir haben einen Wertekompass beschlossen, entlang dem wir jede Koalitionsfrage, die sich in Zukunft stellt, abhandeln werden. Aber wenn Sie mich persönlich fragen: Die FPÖ erfüllt diesen Kriterienkatalog nicht. Niki Fellner