Die große Abrechnung des Ex-VP-Chefs sorgt bei seinen ehemaligen Kollegen für finstere Mienen.
Das Buch von Ex-VP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sorgt für einen handfesten Streit zwischen den ehemaligen ÖVP-Chefs und anderen Parteigrößen. Unter anderem seine Vorgänger Michael Spindelegger und Josef Pröll rechnen jetzt mit Mitterlehner ab.
"ÖVP war unter Mitterlehner am Weg in Bedeutungslosigkeit"
In einer Stellungahme an oe24 schießt Spindelegger in Richtung Mitterlehner: „Der Abgang von Reinhold Mitterlehner war keine Intrige sondern die Rettung der Volkspartei. Die ÖVP taumelte von einer Wahlniederlage in die nächste und war unter Mitterlehner auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit."
"Unter Kurz so viel ÖVP-Politik wie schon lange nicht mehr"
Spindelegger lobt zugleich den jetzigen ÖVP-Chef Sebastian Kurz: "Das Resultat der Parteiübernahme durch Sebastian Kurz ist endlich wieder die ÖVP-Kanzlerschaft, soviel ÖVP-Politik wie schon lange nicht mehr und die Verhinderung von rot-blau unter einem Kanzler Strache. Die ÖVP unter Sebastian Kurz hat heute durch Maßnahmen wie den Familienbonus, ein ausgeglichenes Budget und der Entlastung geringer Einkommen wieder ein klares christlich-soziales Profil.“
Josef Pröll: "Verletzte Eitelkeit"
Jetzt meldet sich auch Josef Pröll zu Wort: "Jeder von uns, der in der Politik war, könnte wohl über seine Vorgänger, Weggefährten oder Nachfolger, über mögliche Brüche und persönlichen Enttäuschungen ein Buch schreiben. Verletzte Eitelkeit ist allerdings die schlechteste Motivation, um ein Buch zu schreiben."
Weiter: "Wenn wir nämlich ehrlich sind, wissen wir doch alle, in welchem Zustand die Partei unter Reinhold Mitterlehner war. Die Verwaltung des Stillstandes war zentraler Inhalt der grossen Koalition. Die ÖVP hatte kein Profil mehr und ist unter Mitterlehner immer mehr nach links gerückt. Mit dieser Positionierung hätte Mitterlehner niemals mehr eine Wahl gewonnen."
Abschließend findet auch er noch lobende Worte für Bundeskanzler Kurz: "Heute wird unter Sebastian Kurz wieder ÖVP-Politik gemacht. Mit Maßnahmen wie Nulldefizit, Familienbonus oder der Umsetzung jahrelanger Forderungen für den Standort wie Arbeitszeitflexibilisierung ist die ÖVP-Handschrift - gerade auch in wirtschaftlichen Fragen - ganz klar erkennbar. Die Menschen im Land unterstützen diese Arbeit."
Mikl: "Traurig, dass der Schmerz so tief sitzt"
Auch Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner meldete sich gegenüber ÖSTERREICH zu Wort. „Es ist traurig zu sehen, dass der Schmerz so tief sitzt. Das tut mir für Mitterlehner persönlich auch sehr leid. Aber wenn er nun derart an die Öffentlichkeit geht, dann muss ich schon festhalten, dass es zwischen seiner Eigenwahrnehmung und der Realität doch einige Diskrepanzen gibt", hält die VP-Landeschefin fest. Dennoch wünsche sie ihm persönlich alles Gute.
Sogar Mitterlehners Mentor stellt sich gegen ihn
Besonders brisant: Auch der ehemalige Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl - er gilt als einer der Mentoren von Mitterlehner - übt Kritik an seinem einstigen Schützling und lobt Kurz: Leitl merkte - in seiner jetzigen Funktion als Präsident der Europäischen Wirtschaftskammern - an, "dass sich Österreich von einem unterdurchschnittlichen Nachzügler zu einem Vorreiter eines starken Wirtschaftsstandortes entwickelt hat". Und das sei "in besonderer Weise dieser Regierung zu verdanken". "Der Vergleich spricht für sich", meinte er ohne weitere Anmerkung zu Mitterlehners Abrechnung mit seinem Nachfolger an.
Mitterlehner übte bei Buch-Präsentation einmal mehr Kritik an Regierung
Im Zuge seiner Buch-Veröffentlichung übt der frühere ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner scharfe Kritik an der türkis-blauen Koalition. Es gebe klare Merkmale, dass deren Politik "rechtspopulistisch" ausgerichtet sei. Maßnahmen wie die Senkung des Stundenlohns für gemeinnützige Tätigkeiten von Asylwerbern auf 1,50 Euro hätten "mit christlich-sozialen Grundwerten nichts mehr zu tun".
Vielmehr seien solche Vorschläge in einem reichen Land wie Österreich "schon fast peinlicher Zynismus", polterte der frühere Vizekanzler, der 2017 von Sebastian Kurz an der Parteispitze abgelöst worden war, im Interview mit der APA. Er vermisse, dass man solchen Dingen entgegentrete - stattdessen habe Kurz diesen Vorstoß ausdrücklich unterstützt. Überhaupt ortet Mitterlehner eine negative Konzentration auf das Flüchtlingsthema - von der Umbenennung von Erstaufnahmezentren in "Ausreisezentren" bis zur Re-Verstaatlichung der Rechtsberatung für Flüchtlinge sehe er Elemente in Richtung einer "ausgrenzenden Gesellschaft".
Dementsprechend findet Mitterlehner auch, dass die jüngsten mahnenden Worte aus der Kirche "durchaus zurecht" erfolgt seien. "Nicht mehr der Schutz von Flüchtlingen, sondern der Schutz vor Flüchtlingen ist das zentrale Motiv der Regierung." Alle Instrumente hätten das Ziel, Zuwanderung zu beschränken, etwa auch bei der Mindestsicherungsreform. Früher sei es ein "unverrückbares Dogma" in der ÖVP gewesen, dass Mehrkindfamilien auch mehr Geld brauchen, aber weil Ausländer kinderreich seien, gebe es nun eine Änderung, moniert Mitterlehner beispielsweise.
Angriffe auch auf FPÖ
Auch im Umgang mit den rechtsextremen Identitären wirft Mitterlehner der Regierung, konkret der FPÖ, vor, sich im Wesentlichen nur mit "Äußerlichkeiten" zu befassen und nicht mit der inhaltlichen Ausrichtung - wohl, weil die Ideologie der Identitären wie "Österreicher zuerst" auch teilweise von Regierungsvertretern in ihrer Wortwahl realisiert werde, mutmaßte Mitterlehner. Die Causa sei jedenfalls eine Belastungsprobe für die sonst so harmonisch agierende Koalition, glaubt Mitterlehner. "Am einheitlichen Lack werden schon erste Kratzer sichtbar."
Etwas "zynisch" findet Mitterlehner, dass just jene, deren Stil es nun sei, möglichst nicht zu streiten, in die letzte Regierung den Streit erst hineingetragen hätten. Denn die Arbeit der Großen Koalition unter Kanzler Christian Kern (SPÖ) und ihm sei torpediert worden. Er sei 30 Jahre in der ÖVP und "dort gehört Intrige und Indiskretion offensichtlich zum Tagesgeschäft". In einem "normalen Rahmen" hätte er nicht mit der Wimper gezuckt, meinte Mitterlehner, aber es habe ihn irritiert, dass schon zu Beginn seiner Obmannschaft bei Kurz die Absicht vorhanden gewesen sei, die Partei später zu übernehmen und die entsprechenden Vorbereitungen bereits vorangetrieben worden seien. Es handle sich um ein "Musterbeispiel" für Machtergreifung, das er dokumentieren habe wollen, erklärte Mitterlehner.
Eine Abrechnung sieht er in seinem Buch, das zwei Jahre nach seinem Rücktritt erscheint, nicht. Er habe anfangs "aus Parteiräson" geschwiegen. "Aus meiner Sicht ist es eine Dokumentation und eine Klarstellung, und weniger eine Abrechnung."
Ein weiteres Anliegen seines Buches sei aber durchaus auch ein Appell, erläuterte Mitterlehner. "Die Verschärfung des Tons hat da und dort in der Bevölkerung zu Resignation und Abstumpfung geführt, dem muss man entgegentreten." Man müsse die Dinge beim Namen nennen und mittels Leserbriefen, Veranstaltungen und Social Media-Beiträgen dagegenhalten, findet er. "Zu einer pluralistischen Gesellschaft gehört Meinungsfreiheit, und nicht die zentrale Steuerung, die keinerlei Partizipation mehr ermöglicht."
Mitterlehner war im Mai 2017 nach monatelangem internen Drängen von seinen Ämtern zurückgetreten. Kurz übernahm daraufhin die Parteispitze und rief Neuwahlen aus. Die ÖVP, die in Umfragen davor schwächelte, ging aus der Wahl im Herbst 2017 als Siegerin hervor und stellt seither den Kanzler in einer Koalition mit der FPÖ.