Kanzler Gusenbauer macht die Existenz der Koalition von einer vorverlegten Steuerreform abhängig. Die Koalition hängt jetzt am seidenen Faden.
Politische Beobachter staunten am Sonntag nicht schlecht über den "ORF-Pressestunde"-Auftritt von SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Denn der Kanzler holte zu einem verbalen Schlag gegen die ÖVP aus, der schon wie Wahlkampf pur klang: "Den Luxus des Neinsagens kann man sich nicht mehr leisten. Wir sind an der letzten Weggabelung angelangt", so der Kanzler mit plötzlich wiedergewonnener Verve.
Niemand in Österreich hätte noch besondere Lust auf diese Art der politischen Auseinandersetzung der vergangenen Monate, zeigte sich Gusenbauer überzeugt.
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Steuerreform vorziehen
Und dann präsentierte der Kanzler
ultimative Forderungen an die ÖVP: Die Regierung soll ihre
Handlungsfähigkeit und Existenzberechtigung beweisen - spätestens bis
Herbst: Die Verhandlungen über ein Paket zur Sanierung des defizitären
Gesundheitssystems und über eine vorgezogene Steuerreform müssten "unverzüglich"
aufgenommen werden, um im Herbst diese Großprojekte beschließen zu können. "Man
muss in der Politik auch etwas wollen. Denn sonst steht das Land."
Angebot statt Drohung
Auf die wiederholte Frage, ob das eine
Neuwahldrohung sei, antwortete der Kanzler indirekt: "Das ist ein
Angebot, endlich die Nein-Sager-Aktionen zu beenden und eine vernünftige
Arbeit für Österreich zu leisten." Denn Teile der ÖVP würden
seit Monaten eine "umfassende Zerstörungsstrategie" verfolgen
und es darauf anlegen, "die Regierung möglichst rasch in die Luft zu
jagen". Die konstruktiven Kräfte in der ÖVP, allen voran der
Wirtschaftsflügel, müssten gehört werden, die "Nein-Sager"-Fraktion
in den Hintergrund treten. Klar ist für Gusenbauer: "Die ÖVP muss
sich ändern."
Grünes Licht
Beim Dauerbrenner "Untersuchungsausschuss"
zu den schwerwiegenden Vorwürfen gegenüber dem Innenressort stellte der
Kanzler klar: Er habe den SPÖ-Abgeordneten "grünes Licht"
gegeben, "jede Form der Kontrolle zu wählen, die dazu dient, dass die
gesamte Wahrheit auf den Tisch kommt".
Frontalangriff
Auch ÖVP-Außenministerin Ursula Plassnik musste
herbe Kritik vom Regierungschef im Zusammenhang mit der Visa-Affäre
einstecken. Die Ressortchefin solle angesichts des "vernichtenden"
Richterspruchs im Verfahren gegen unzulässige Visa-Vergaben österreichischer
Auslandsvertretungen endlich klar Stellung beziehen.
Befreiungsschlag
Die ÖVP reagierte scharf auf die Attacken des
Regierungschefs, lehnte die Forderungen ab. Parteiintern wird seit gestern
bereits in beiden Großparteien offen über Neuwahlen im Herbst spekuliert.
Der Kanzler wörtlich
Misstrauen gegenüber der ÖVP
Das Vertrauen ist doch
einigermaßen auf die Probe gestellt. Wenn sich nach wenigen Monaten einer
Regierung herausstellt, dass einer der hochkarätigsten Beamten, kein
Sozialdemokrat (Anm. Herwig Haidinger), in die Öffentlichkeit geht und ganz
schwere Beschuldigungen erhebt, und wenn jemand droht und glaubt, damit
etwas verhindern zu können, dann wird doch ein jeder von uns etwas
misstrauisch werden, weil wir doch alle der Meinung sind, Drohungen können
die Wahrheit nicht ersetzen.
Über einen Untersuchungsausschuss
Ich hab meinen
Abgeordneten grünes Licht gegeben, jede Form der Kontrolle zu wählen, die
dazu dient, dass die gesamte Wahrheit auf den Tisch kommt. Es handelt sich
bei diesen Vorwürfen des Herrn Haidinger um ganz massive Vorwürfe, die an
den Kern des Rechtsstaates gehen. Es geht um Bespitzelung, es geht um
Amtsmissbrauch aus politischen Motivationen heraus. Das ist keine normale
Angelegenheit. Hier geht es doch um das Vertrauen der Menschen in die Justiz
und in die Exekutive und alles andere als die volle Wahrheit wäre schlecht.
Alle, die dem Vertuschen hier das Wort reden, tun dem Rechtsstaat keinen
guten Dienst.
Über eine Steuerreform 2009
Die Existenzberechtigung
dieser Regierung wird sich dahingehend beweisen, ob es im Herbst eine
Steuerreform mit einer Entlastung der kleinen und mittleren
Einkommensbezieher und eine Sanierung des Gesundheitssystems gibt. Ich bin
der Meinung, dass eine Regierung zum Arbeiten da ist und nicht dazu, dass
ein Partner versucht, den anderen an der Arbeit zu hindern.
Von der "Nein-Sager"- Fraktion der ÖVP haben wir ja jetzt ein Jahr lang genug gehört.
Diese beiden Herausforderungen sind zentral für die Wirtschaftsentwicklung unseres Landes und für die soziale Stabilität. Damit es im Herbst zu einem Ergebnis kommt, müssen unverzüglich die Verhandlungen darüber aufgenommen werden, denn sonst gibt es kein Ergebnis. Wenn es im Herbst ein vernünftiges Ergebnis gibt, dann soll das in Kraft treten, mit 1. Jänner 2009.
Über Neuwahlen
Der Beweis, dass diese Regierung
koalitionsfähig ist, wird erbracht, wenn es im Herbst eine umfassende
Steuerreform und eine Sanierung unseres Gesundheitssystems gibt. Und das ist
daher, wenn Sie so wollen, ein Angebot, endlich die "Nein-Sager"-
Aktionen zu beenden und eine vernünftige Arbeit für Österreich zu leisten.
Und auf das sollte man seine Energien in den nächsten Monaten konzentrieren, denn sonst kommt es ohnehin nicht dazu. Und ich sage Ihnen ganz offen, es hat keinen Sinn, immer sozusagen Angebote zu formulieren, aber gleich zu sagen, wenn das nicht kommt, kommt X, Y oder Z. Denn dann wird nur mehr darüber diskutiert, was kommt, wenn etwas nicht kommt. Mein Zugang ist, und das müssen Sie akzeptieren, ein anderer.
Ich sage, ich stelle in den Vordergrund, was geleistet werden muss. Ich bin zu dieser Arbeit bereit. Die "Nein-Sager" in der ÖVP müssen in den Hintergrund gedrängt werden, dann kann es zu einem solchen vernünftigen und dringend notwendigen Paket kommen.
Politologe Filzmaier sieht Strategie wie aus dem Lehrbuch
ÖSTERREICH: Steht das Land nach dem Ultimatum des Kanzlers kurz vor Neuwahlen?
Peter Filzmaier: Mich wundert, dass Gusenbauer bei seinem Auftritt nicht einmal das Szenario von Neuwahlen vor dem Sommer ausgeschlossen hat, obwohl ich das nicht für wahrscheinlich halte. Die Wahlen wären für beide Koalitions-Parteien ein hohes Risiko.
ÖSTERREICH: Überraschen Sie nicht auch die Heftigkeit der Angriffe gegen die ÖVP?
Peter Filzmaier: Mich überrascht vor allem, warum er diese Angriffe relativ spät führt. Die Strategie ist aber wie aus dem Lehrbuch. Als Politiker verliert man, wenn man immer nur reagiert. Mit seinem Auftritt hat sich der Kanzler jetzt aber in die Rolle des Aktiven gebracht und eine Art Befreiungsschlag geführt.
ÖSTERREICH: Haben die schlechten Umfragen den Ausschlag für diesen Schlag gegeben?
Peter Filzmaier: Es gab zuletzt großen Druck, nicht nur von der Parteibasis, sondern vor allem aus den Landesparteien.