Wahl-Analyse der Meinungsforscherin Dr. Sophie Karmasin.
Dr. Sophie Karmasin (Karmasin Research & Identity) ist Meinungsforscherin und war von 2013 bis 2017 von der ÖVP nominierte parteifreie Familienministerin. Für oe24 analysiert sie den Wahlkampf. Heute: die wichtigsten Themen. Am Montag: die einzelnen Parteien.
WIE WICHTIG IST DAS THEMA KLIMA?
Das Klimathema ist natürlich einmal für die Grünen wichtig – und es wird auch der Grund sein, dass sie aller Voraussicht nach wieder ins Parlament kommen werden, wenn sie das Momentum nützen. Es ist ihr Stammthema und es liegt im wahrsten Sinn des Wortes in der Luft. Und hier liegt ja auch der große Unterschied zu früher, als das Thema Klimaschutz für viele noch viel zu abstrakt war. Jetzt, angesichts dieses heißen Sommers, der den Klimawandel für alle spürbar macht, ist auch die persönliche Betroffenheit da.
Für andere Parteien ist das Thema Klimawandel meiner Meinung nach nicht wahlentscheidend. Nur insofern, als es sich keine Partei mehr leisten kann, das Thema komplett zu ignorieren und den Klimawandel zu leugnen und zu behaupten, das wäre alles nur übertrieben und eine Erfindung der Medienmafia oder der NGOs. Aber das macht nicht einmal die FPÖ.
Wenn nicht jemandem in den nächsten Wochen etwas Neues in Sachen Klima einfällt, glaube ich nicht, dass der Klimawandel anderen Parteien außer den Grünen helfen wird, ihre Stimmen zu maximieren. Es darf nur niemand dem Thema Relevanz absprechen.
WELCHE THEMEN WERDEN WAHL- ENTSCHEIDEND?
Ich finde es bemerkenswert, dass es eben noch kein wirkliches Wahlkampfthema gibt, dass noch keine Partei ihr zentrales Thema ausgespielt hat. Das fehlt noch und darauf warten wir alle gespannt. Natürlich stehen Asyl und Zuwanderung weiter latent im Raum – aber das ist auch kein Aufreger mehr. Ja, es werden im Wochenrhythmus Themen gebracht – einmal die Pflegeversicherung, einmal das Wasserstoffauto oder das leistbare Wohnen –, aber bei keinem dieser Punkte hat man das Gefühl, das kann jetzt die Wahl entscheiden, das wäre ein Reibethema. Das ist das Spannende an der Wahl, dass es noch nichts Spannendes gibt.
2017 hatten wir Migration und Zuwanderung, das hat die Parteien gespalten und da gab es eine klare Trennlinie. Und das zweite große Thema 2017 war die allgemeine Müdigkeit über die Große Koalition, über deren Streitereien und Intrigen. Im Wahlkampf 2017 konnte eine Aufbruchsstimmung zu neuen Ufern vermittelt werden, da hat eine große Lust auf Veränderung geherrscht. Das war eine stringente Geschichte.
Diesen Veränderungswunsch gibt es jetzt bei den meisten nicht. Im Großen und Ganzen sind die Menschen mit der bisher geleisteten Regierungsarbeit zufrieden gewesen und verstehen daher nicht, warum sie jetzt noch einmal wählen sollen.
Natürlich wissen es die meisten rational, warum es nach Ibiza diese Wahl gibt, aber emotional ist es bei den Menschen noch nicht angekommen. Auch weil Ibiza, Kickl und Misstrauensantrag schon wieder so weit weg zu sein scheinen. Die Parteien müssen wieder eine Geschichte finden, wie sie die Menschen für diese Wahl emotionalisieren können.
WIE WICHTIG IST DER ONLINE-WAHLKAMPF?
Die Konzentration auf soziale Medien im Wahlkampf ist ein typischer Hype, bei dem es sich keiner leisten kann, sich komplett zu entziehen. Ich wäre aber vorsichtig, ob der Online-Wahlkampf wahlentscheidend sein wird. Man muss als Partei mittun, aber ob man damit wirklich den Großteil der Wähler beeinflussen kann, lasse ich dahingestellt. Natürlich gibt es Zielgruppen, die sich praktisch nur im Internet aufhalten, aber es ist und bleibt eine Minderheit. Der größere Teil sieht nach wie vor fern oder liest Printmedien. Man muss schon auf der gesamten Klaviatur spielen, wenn man Erfolg haben will. Natürlich ist es verlockend, sich aufs Internet zu konzentrieren, weil es verhältnismäßig billig ist, aber ich halte es nicht für ausreichend.