Wahl-Analyse

Wie viel Schüssel steckt in Kurz?

Teilen

Beide regierten mit der FPÖ, beide sprengten die Koalition. Was sind die Unterschiede zwischen Schüssel und Kurz? Eine Analyse von Peter Pelinka.

In sozialdemokratischen Kreisen wird derzeit oft vermutet, hinter den unbestreitbaren Erfolgen von Sebastian Kurz stecke in einem hohen Ausmaß Wolfgang Schüssel. Genauer gesagt: Das wird von älteren Menschen verbreitet, denn viele Jüngere fangen mit dem Namen Schüssel wenig bis gar nichts mehr an.

Für alle zur Erinnerung: Wolfgang Schüssel war von 1995 bis 2007 Obmann der ÖVP, zwischen 2000 und 2007 fast sieben Jahre Bundeskanzler. Heute sitzt der nunmehr 74-Jährige in Aufsichtsräten deutscher und russischer Energieunternehmen und ist seit mehr als zehn Jahren im Kuratorium der einflussreichen Bertelsmann-Stiftung aktiv.

Architekt der ersten schwarz-blauen Regierung

Besonders bekannt geworden ist Schüssel als Architekt der ersten schwarz-blauen Regierung, ursprünglich vereinbart mit Jörg Haider (den kennt man doch noch, oder?) und anfangs praktiziert mit Susanne Riess-Passer als Obfrau der FPÖ und Vizekanzlerin. Nachdem die nunmehrige Chefin der Wüstenrot-Versicherung 2002 bei einem blauen Delegiertentreffen im steirischen Knittelfeld wild angegriffen worden war, trat sie tags darauf mit Klubchef Peter Westenthaler und Finanzminister Karl-Heinz Grasser (die beiden kennt man derzeit eher aus der Berichterstattung über Gerichtsverfahren) von allen Ämtern zurück.

Da schlug die Stunde des Bundeskanzlers: Schüssel kündigte tags darauf die Koalition auf und Neuwahlen an. Er hatte 2002 wie Franz Vranitzky 1986 die historische Chance erkannt, den Niedergang eines eigenen Projektes (jeweils ein Bündnis mit der FPÖ) in einen Sieg zu verwandeln. Für Schüssel (gestärkt durch den „Überläufer“ Grasser) wurde es gar ein Triumph: Die ÖVP stieg gegenüber 1999 um mehr als 15 Prozent auf 42,3 die FPÖ, 1999 noch um 415 Stimmen vor der ÖVP gelegen, verlor fast zwei Drittel ihrer Wähler und sank auf nur mehr knapp über 10 Prozent.

Wieder nützt ein Schwarzer eine blaue Schwäche aus

Da drängen sich natürlich historische Vergleiche auf: ein schwarzer (nunmehr türkiser) Kanzler, der entschlossen ein Schwächesignal seines blauen Partners ausnutzt. Eine FPÖ, die sich wieder einmal (wie übrigens auch schon 1986) fast suizidal aus der Regierung sprengt. Und eine folgende Wahl, die der einen Ex-Regierungspartei Zuwächse auf Kosten der anderen beschert. Auch die Konsequenzen könnten ähnliche sein: So wie Schüssel nach einem taktischen Liebäugeln mit den Grünen (unter dem jetzigen Bundespräsidenten) die Koalition mit der geschwächten FPÖ fortsetzte und diese damit fast zu Tode streichelte, könnte es den Blauen demnächst wieder passieren, setzt sich dort Norbert Hofer mit seinem Unterwerfungskurs unter Kurz durch.

Die Rolle des parteiinternen aufmüpfigen Kritikers würde in diesem Szenario Strache an der Stelle Haiders spielen. Eher unwahrscheinlich nur, dass HC schlussendlich die Revolution gegen eine allzu nachgiebige Parteiführung mit der Gründung einer neuen Partei (damals des BZÖ) auf die Spitze treiben könnte. Dazu fehlt ihm nämlich neben dem intellektuellen Spieltrieb Haiders auch dessen Machtbasis (Kärnten).

Dennoch: Kurz ist mit Schüssel kaum vergleichbar

Womit wir bei den Unterschieden sind: Der politische Selbstmord in Ibiza mag zwar mit jenem in Knittelfeld vergleichbar sein, Norbert Hofer mit Herbert Haupt oder Hubert Gorbach (die sich eng an die ÖVP anlehnenden Erbverwalter von blau/orange), Herbert Kickl vielleicht auch noch mit „Sprengmeister“ Jörg Haider – aber die andere Seite ist in diesem Spiel etwas anders aufgestellt. Sebastian Kurz ist nämlich nur sehr bedingt mit Wolfgang Schüssel vergleichbar.

Schüssel hatte eine klare weltanschauliche Linie

Kurz ist eine perfekte Marketingmaschine ohne klaren ideologischen Kern (Wortwitz beabsichtigt). Schüssel hatte eine klare weltanschauliche Linie, kam aus dem katholisch-christlich-sozialen Milieu, angereichert mit stark wirtschaftsliberalen Motiven.

Bei Kurz ist eine solche „Message“ kaum erkennbar, Wählermaximierung ist alles, da tun sich eben auch entsprechend unterschiedliche Gegenstimmen auf: Industrielle beklagen mangelnde Liberalisierungsschritte, Lehrer Einsparungen im Bildungsbereich, Sozialarbeiter solche im Sozialbereich (nicht nur bei der Mindestsicherung), Offiziere flapsige Absagen an Geldwünsche für das Bundesheer. Und auch die „Message Control“ ist nicht mehr das, was sie einmal war: Anders ist beispielsweise nicht zu erklären, wie Kurz auf Plakaten mit einem identen 
Slogan seines Widersachers Kickl (eigentlich einer für Jörg Haider) beworben wird: „Einer, der unsere Sprache spricht.“

Kurz beherrscht Spiel mit der Macht noch besser

Kurz, der eine gewisse Arroganz hinter seinem netten Anstrich nicht verbergen kann/will, wird dennoch keinen regelmäßigen Rat bei Schüssel suchen. Denn mit seinem Marsch an die Parteispitze der ÖVP hat er bewiesen, dass er das Spiel mit der Macht noch besser beherrscht als der oft als Machiavellist beschriebene Schüssel.

Der hat der ÖVP nämlich nach seinem historischen Sieg auch wieder eine völlig überraschende Niederlage beschert. Das wird dem wendigen „Basti“ (Wahlslogan aus Zeiten der Jungen ÖVP: „Schwarz ist geil“) nicht so schnell passieren.

 

Die Meinungen in unseren Kommentaren und Analysen müssen nicht mit jener der Redaktion übereinstimmen.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.