Methodenstreit um ''Sonntagsfrage'': Meinungsforscher-Verband VdMI schließt OGM aus.
Wien. Ein Methodenstreit um die "Sonntagsfrage" hat zu einem Konflikt unter Meinungsforschern geführt. Der Branchenverband VdMI hat das OGM-Institut ausgeschlossen, weil es eine rein online durchgeführte Wahlumfrage (ohne zusätzliche telefonische Befragung) veröffentlicht hat. Während Präsidentin Edith Jaksch auf die 2019 erstellten Qualitätskriterien für Wahlumfragen pocht, zitiert OGM-Chef Wolfgang Bachmayer methodische Gründe für sein Vorgehen. Die Branche ist gespalten.
Die jüngsten Enthüllungen über mutmaßlich zugunsten der ÖVP manipulierte Meinungsumfragen haben die Aufmerksamkeit für das Zustandekommen von Wahlumfragen zuletzt wieder erhöht. Ein Thema ist das aber schon länger. Der Verband der Markt- und Meinungsforschungsunternehmen (VdMI) - einer von zwei Branchenverbänden - hatte sich schon 2017 Kriterien für Wahlumfragen gegeben. Sie sehen (neben Transparenz über Auftraggeber, Untersuchungszeitraum und Schwankungsbreite) auch eine Mindestanzahl von 800 Befragten und der Verzicht auf reine Onlinebefragungen vor. "Eine reine Onlinestichprobe kann kein repräsentatives Abbild der Wählerschaft geben", heißt es in dem Kriterienkatalog.
Online durchgeführte Wahlumfrage veröffentlicht
Dennoch hat OGM am Wochenende im "Kurier" eine ausschließlich online durchgeführte Wahlumfrage veröffentlicht. Wie mehrere Medien am Donnerstag berichteten, hat der VdMI-Vorstand das Institut daraufhin aus dem Verband ausgeschlossen. Ein Branchenverband müsse seine eigenen Standards ernst nehmen und bei Nichteinhaltung Konsequenzen ziehen. "Die Kriterien des Methoden-Mix beziehen sich auf eine Fragestellung, nämlich die Sonntagsfrage. Die Erhebung der Sonntagsfrage ist für kein Institut ein wirtschaftlicher Faktor. Aber die Sonntagsfrage steht bei den Qualitätskriterien zu Recht im Fokus", betont Jaksch.
Institutschef Wolfgang Bachmayer verteidigt sein Vorgehen dagegen mit methodischen Gründen. "Wir haben auch ein eigenes Telefonstudio im Haus, wir haben keinen Grund zu sagen, Telefon ist schlecht", betont Bachmayer gegenüber der APA. Telefonische Befragungen brächten aber ebenfalls Probleme mit sich - etwa die bei Handybefragungen nicht bekannte regionale Verteilung oder rechtliche Probleme bei der automatisierten Wahl von Zufallsnummern. Er habe den Methodenmix vor 16 Jahren selbst vorgeschlagen. Mittlerweile gebe es aber viele gute qualitative Gründe dafür, auf "online only" umzusteigen. Zumal die OGM-Wahlumfrage 2017 die genaueste jemals von der Plattform Neuwal registrierte Prognose gewesen sei, und 2019 sei OGM ähnlich treffsicher gelegen.
Onlineumfragen nicht per se problematisch
Eva Zeglovits vom IFES-Institut verweist auf APA-Anfrage dagegen darauf, dass eine reine Online-Befragung automatisch zwei Bevölkerungsgruppen ausschließe - und zwar alte Menschen ohne Internet und Menschen mit Leseproblemen. Zeglovits, sie ist Mitautorin des Kriterienkatalogs, betont, dass Onlineumfragen nicht per se problematisch seien. "Es gibt großartige Onlineumfragen", sagt die Statistikerin gegenüber der APA, aber: "So gut kann das Panel gar nicht sein. Wenn es zwei Gruppen gibt, die ich strukturell nicht erreichen kann, dann habe ich hier eine Verzerrung die ich mitdenken muss."
Tatsächlich nutzen derzeit nicht einmal sechs von zehn Seniorinnen und Senioren immer das Internet. Allerdings steigt der Anteil laut der IKT-Erhebung der Statistik Austria stetig: während 2010 nur 28,2 Prozent der 65- bis 64-Jährigen angegeben haben, in den letzten drei Monaten das Internet genutzt zu haben, waren es 2020 schon 57,4 Prozent.
Beutelmeyer: "Völlig sinnlose Diskussion"
Von einer "völlig sinnlosen Diskussion" spricht daher Werner Beutelmeyer von Market. Sein Institut gehört dem VdMI nicht an (wohl aber dem zweiten Branchenverband VMÖ) und führt daher Online-Wahlumfragen durch. Er lobt Bachmayer als "einen der besten Politprognostiker in Österreich" und fühlt sich durch die aktuelle Debatte an die 1980er-Jahre erinnert, als man diskutiert habe, ob telefonische Umfragen seriös seien. "Der Verband sollte nicht Methoden beurteilen", findet Beutelmeyer und verweist darauf, dass auch die Teilnehmer an Online-Befragungen "offline" (durch Telefoninterviews) rekrutiert würden.
Günther Ogris von SORA (ebenfalls VdMI-Mitglied) plädiert zwar selbst bei Wahlumfragen klar für einen Methodenmix. Insbesondere Fragen zur Bekanntheit von Politikern könne man mit einem (Online)Panel nicht klären. Er sieht im aktuellen Fall aber einen "berechtigten Methodenstreit", weil auch die Mediennutzung einem permanenten Wandel unterliege. Aus seiner Sicht bräuchte es daher mehr Grundlagenforschung zur Frage, wie Stichproben am besten gezogen werden können. Hier habe sich seit der Entscheidung zwischen Quoten- und Zufallsstichproben Anfang des 20. Jahrhunderts aber nicht mehr viel getan, bedauert Ogris: "Eine wirkliche Stichprobenforschung haben wir nicht."