Wenn der Iran ab 21. November gegen England, Wales und die USA bei der Fußball-WM antritt, spielt die Politik mit.
Als wären diese Duelle nicht schon brisant genug, wurden angesichts von Repressionen gegen Demonstrierende und Drohnen für Russlands Ukraine-Krieg auch Stimmen laut, die einen Ausschluss des Landes von der WM forderten. Die Forderungen aber blieben folgenlos - und das Nationalteam probiert sich sportlich erneut daran, erstmals die Gruppe zu überstehen.
Es könnte die letzte Chance des in der Heimat beliebten, aber in den Jahre gekommenen "Team Melli" auf einen größeren Wurf sein. Anvertraut wird dieser Versuch zum dritten Mal dem Portugiesen Carlos Queiroz. Der frühere Trainer von Real Madrid arbeitete bereits acht Jahre im Iran als Teamchef, ehe er Anfang 2019 das kolumbianische Nationalteam übernahm. Erst im September des WM-Jahres kehrte Queiroz anstelle von Dragan Skocic zurück. Der Serbe stolperte über verbandspolitische Fallstricke.
Iranische Kicker zeigen Solidarität
Zwei Testspiele - gegen Uruguay (1:0) und den Senegal (1:1) jeweils im Trainingslager in Österreich - mussten genügen, um Queiroz' Ideen aufzufrischen. Die iranische Auswahl, für die bei fünf WM-Antreten verlässlich nach der Gruppenphase Schluss war, dürfte es wie gehabt mit geradliniger Kontertaktik probieren. 2014 ärgerte man Lionel Messis Argentinien (0:1), vier Jahre später scheiterte man in Russland nach einem 1:0 gegen Marokko, 0:1 gegen Spanien und 1:1 gegen Portugal knapp am historischen Aufstieg. Die Hoffnung in Tore ummünzen soll diesmal Mehdi Taremi (30), dessen Form angesichts von 13 Treffern in 18 Saisonauftritten für den FC Porto - darunter fünf in der Champions League - passen dürfte.
Gefüttert soll Taremi von (dem aktuell verletzten) Serdar Azmoun (Bayer Leverkusen) und Ali-Resa Jahanbaksch (Feyenoord Rotterdam) werden, ein Duo, das zuletzt nicht nur sportliche Schlagzeilen produzierte. "Wir sind immer auf der Seite des Volkes, das in diesen Tagen nichts anderes fordert als seine grundsätzlichen Rechte", schrieb etwa Jahanbaksch auf Instagram, während Azmoun in einem mittlerweile wieder gelöschten Posting kundtat: "Lang leben die iranischen Frauen!"
Sie und andere Sportler der Nationalmannschaft bekundeten zuletzt - mal mehr, mal weniger subtil - Solidarität mit den Demonstrierenden in der Heimat. Als das Team etwa im September in Mödling gegen den Senegal testete, trug es während der Hymnen schwarze Kapuzenjacken, womit die Nationalflagge auf den Trikots verdeckt wurde. Und womit laut aktueller Lageeinschätzung klar ist: Eine gefügige Sportlerarmee wird in Katar nicht vorspielen.
Mullah-Regime fürchtet Botschaften der Spieler
Gleichsam fragt man sich im In- und Ausland, ob Irans Kicker die Weltbühne für weitere Botschaften politischer Natur nutzen werden. Das Mullah-Regime fürchtet, dass das Nationalteam die seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini durchs Land rollende Protestwelle weiter befeuern könnte. Die Moralpolizei hatte Amini festgenommen, weil sie gegen die Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Sie starb in Polizeigewahrsam.
Dem nicht genug trifft das iranische Team am 29. November in Gruppe B auf die USA. Zwischen beiden Ländern gibt es enorme politische Spannungen, unter anderem wegen des iranischen Atomprogramms. Insbesondere für den Iran ist die Partie daher mehr als nur ein Fußballspiel. Beim bisher letzten WM-Duell der beiden Erzfeinde 1998 in Frankreich sorgte das 2:1 für ein tagelanges Volksfest. Ob das diesmal ebenfalls der Fall sein würde, bleibt angesichts der komplizierten Gemengelage im Land abzuwarten.