30. Juni oder länger

May kann wohl mit weiterem Brexit-Aufschub rechnen

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Premierministerin Theresa May kann beim EU-Gipfel am Mittwoch in Brüssel mit einem weiteren Brexit-Aufschub rechnen.

Nach Angaben von Diplomaten sprach sich keiner der 27 verbleibenden EU-Staaten am Dienstag bei Beratungen in Luxemburg dafür aus, die Briten mittels einem "harten Brexit" am Freitag aus der EU herausfallen zu lassen. Einen ungeordneten Austritt wolle vielmehr jeder verhindern.
 
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte auf die Frage, ob es am Freitag noch einen "harten Brexit" geben könnte: "Sicherlich nicht." Die Europaminister vereinbarten noch kein Datum, bis zu dem ein weiterer Aufschub gewährt würde. Mit dieser Frage müsse sich der EU-Gipfel befassen, hieß es. In Ratskreisen hieß es, dass eine Verlängerung bis zum 30. Juni oder überhaupt länger diskutiert werde. May hatte um Fristerstreckung bis 30. Juni gebeten, in Diskussion ist aber auch eine längere Verlängerung, wenn May dem zustimme.
 
"Wir sprechen von Monaten", hieß es in diplomatische Kreisen. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte einen flexiblen Aufschub von zwölf Monaten vorgeschlagen, wobei Großbritannien die EU bei einem entsprechenden Beschluss schon früher verlassen könnte. Eine kurze Verlängerung wäre dann sinnvoll, wenn klar aufgezeigt werde, welche Entscheidungen in den nächsten Tagen getroffen werden, sagte der deutsche Europa-Staatsminister, Michael Roth.
 
Den 12. April als neuen Brexit-Stichtag nach dem verstrichenen Austrittsdatum 29. März hatten die EU-Staats- und Regierungschefs zuletzt beim Gipfel für den Fall vereinbart, wenn der Austrittsvertrag bis dahin vom britischen Unterhaus nicht verabschiedet ist. Bisher verpasste der Austrittsvertrag dreimal in Westminister die nötige Mehrheit. Die aktuelle Beschlusslage sei, dass Großbritannien Ende dieser Woche aus der EU ausscheiden würde. "Das gilt derzeit", sagte EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP).
 
Wenn sich daran etwas ändern sollte, müsste es eine "substanzielle Begründung" geben, die derzeit noch nicht vorliege. Blümel betonte aber ebenso, es sei die wichtigste Priorität aller, "einerseits die Einheit der EU-27 aufrecht zu halten, aber auch einen No Deal zu verhindern".
 
"Ein No Deal wird niemals die Entscheidung der EU sein", sagte EU-Chefverhandler Michel Barnier. Der Franzose bekräftigte, die EU wäre auch zu einer Zollunion mit Großbritannien bereit, wenn London dies wünsche. Doch müsste Großbritannien zuerst das Austrittsabkommen billigen. Die regierenden Konservativen verhandeln in London mit der Labour-Partei über eine Mehrheit für den Brexit. Labour tritt für eine Zollunion ein. Die Gespräche seien "ein neues Element", sagte Barnier.
 
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hält eine Verlängerung der Brexit-Austrittsfrist unter gewissen Bedingungen für vorstellbar. Im Kanzleramt hieß es am Dienstag auf Anfrage der APA, dass dazu jedenfalls ein konkreter Plan der britischen Premierministerin Theresa May notwendig sei. Kurz habe Montagabend mit May gesprochen, wobei vor allem die Vermeidung eines Hard Brexit erörtert wurde.
 
Eine weitere Verlängerung macht die EU weiter von einer Teilnahme der Briten an den Europawahlen abhängig. May hat entsprechende Vorbereitungen in Aussicht gestellt. Die EU-Wahlen finden von 23. bis 26. Mai statt. Für die Brexiteers und für zahlreiche konservative Parteikollegen von May ist diese Perspektive nicht wünschenswert. "Das wäre der Abschiedsbrief vor einem Selbstmord der Konservativen Partei", sagte der britische Bildungsstaatssekretär Nadhim Zahawi am Wochenende.
 
Als größte Hürde für May gilt Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron die britische Premierministerin im Vorfeld des Gipfels noch in Paris besuchen will. Die französische Europaministerin Amelie de Montchalin sagte, Großbritannien müsse einen "glaubwürdigen Plan" vorlegen. Zweitens müsse London darlegen, welche Rolle es in der EU während der Fristverlängerung spielen werde, und welche EU-Entscheidungen es mitmachen werde, sagte De Montchalin.
 
Dahinter steht die Befürchtung, Großbritannien könnte als EU-Mitglied wichtige Beschlüsse zum EU-Mehrjahresbudget oder zur nächsten EU-Kommission blockieren. Mit einer EU-Blockade im Fall einer Verlängerung hatte der konservative Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg gedroht.
 
Daher will die EU auch eine "loyale Kooperation" für alle künftigen britischen Regierungen zur Bedingung für eine Fristverlängerung machen. Neben der zwingenden Teilnahme an der EU-Wahl sei "ein loyales und konstruktives Verhalten der britischen Regierung, egal wer sie anführt, solange man Teil der Europäischen Union ist" notwendig, sagte Roth. Großbritannien dürfe das Funktionieren der EU nicht untergraben, müsse den Binnenmarkt aufrecht erhalten und auch an den Europawahlen teilnehmen, hieß in Ratskreisen weiter. Ein ungeregelter Brexit wäre aber die "schlechteste aller auf dem Tisch liegenden Optionen", so Roth.
 

Merkel hält Verschiebung bis Anfang 2020 für möglich

Die deutsche Angela Merkel hält im Brexit-Drama eine Verschiebung des britischen EU-Austritts bis Ende 2019 oder Anfang 2020 für möglich. Beim EU-Sondergipfel zum Brexit an diesem Mittwoch in Brüssel werde es um eine "Flextension"-Erweiterung des Austrittstermins gehen, sagte die Kanzlerin am Dienstag nach Angaben von Teilnehmern in einer Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag.
 
Zuvor hatte sie eineinhalb Stunden lang mit der britischen Premierministerin Theresa May im Kanzleramt über die Lage beraten. Merkel und May wollen einen ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ohne Abkommen am 12. April - das ist der kommende Freitag - verhindern.
 
May hofft auf einen weiteren Aufschub bis zum 30. Juni. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat dagegen eine flexible Verlängerung um bis zu zwölf Monate vorgeschlagen. Der Vorschlag ist auch als "Flextension" oder "Flexi-Brexit" bekannt. Die Entscheidung soll am Mittwochabend oder in der Nacht auf Donnerstag bei einem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel fallen.
 
Frankreich will Großbritannien indes eine Teilnahme an der Wahl des nächsten EU-Kommissionspräsidenten im Fall eines Brexit-Aufschubs verwehren. Paris halte es für logisch, dass sich Großbritannien dann auch nicht an EU-Budget-Verhandlungen beteilige, sagte ein Vertreter des französischen Präsidialamts in Paris. Die verbleibenden 27 EU-Staaten könnten Kontrollen darüber verlangen, ob sich Großbritannien bei einem langfristigen Brexit-Verschiebung an das Versprechen der Zurückhaltung in solchen Fragen hält.
 

Belgien lädt Nordsee-Anrainer zu Treffen vor Sondergipfel

Im Vorfeld des EU-Sondergipfels am Mittwoch hat der belgische Regierungschef Charles Michel die Spitzen der Nordsee-Anrainerstaaten der EU zu Vorgesprächen geladen. Es handle sich um ein "Koordinierungstreffen" für diejenigen Länder, die von einem ungeordneten Brexit besonders betroffen wären, sagte ein Sprecher des belgischen Außenministeriums am Dienstag.
 
Das Treffen soll demnach unmittelbar vor dem Sondergipfel am Mittwochabend in Brüssel stattfinden, bei dem die EU-Staaten über das weitere Vorgehen beraten wollen. Die britische Premierministerin Theresa May hatte bei der EU zuletzt eine erneute Verschiebung des Brexit bis zum 30. Juni beantragt. Kommt es am Mittwoch nicht zu einer Einigung, würde Großbritannien am Freitag wohl ohne Austrittsvertrag aus der EU fallen.
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