In Gruppenchats mit Tausenden Nutzern gingen Täter wie selbstverständlich mit ihren Missbrauchstaten um, heizten sich an und gaben sich Tipps, etwa, welche Beruhigungsmittel man Kindern am besten verabreiche, um sie sexuell zu misshandeln.
Im Missbrauchskomplex "Bergisch Gladbach" sind die Ermittler auf Spuren gestoßen, die zu bis zu mehr als 30.000 Verdächtigen führen könnten. Das hat das nordrhein-westfälische Justizministerium am Montag in Düsseldorf mitgeteilt. Es gehe dabei nicht nur um die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie, sondern auch um schweren Kindesmissbrauch.
Es handle sich um internationale pädokriminelle Netzwerke mit Schwerpunkt im deutschsprachigen Raum. In Gruppenchats mit Tausenden Nutzern und in Messengerdiensten gingen die Täter wie selbstverständlich mit ihren Missbrauchstaten um, heizten sich an und gäben sich Tipps, etwa, welche Beruhigungsmittel man Kindern am besten verabreiche, um sie sexuell zu misshandeln.
"Wer zögert, wird von den anderen ermutigt und bedrängt, seine Absichten in die Tat umzusetzen", berichtete NRW-Justizminister Peter Biesenbach. In diesen Chats würden auch Verabredungen zum Missbrauch mehrerer Täter an einem Kind getroffen.
Es handle sich um eine "neue Dimension des Tatgeschehens", sagte der Justizminister und bekannte: Ihm sei "speiübel geworden". "Wir müssen erkennen, dass Kindesmissbrauch im Netz weiter verbreitet ist, als wir bisher angenommen haben."
Während Biesenbach in der Früh zunächst von 30.000 Tätern sprach, korrigierten die Behörden später diese Angaben: Es gehe um 30.000 Spuren zu potenziellen Tätern. Es könne dabei Dubletten geben: Nutze ein Verdächtiger zum Beispiel mehrere Internetzugänge oder diverse Decknamen, könne er mehrfach auftauchen.
Die Selbstverständlichkeit der Kommunikation über die Taten sei "in höchstem Maße irritierend" und "zutiefst verstörend", so der Justizminister. Es sei zu befürchten, dass in einer solchen Atmosphäre die Hemmschwellen sinken und auch solche Männer Missbrauchstaten begingen, die ohne entsprechendes Umfeld davor zurückgeschreckt wären.
Eine eigene "Task Force" von Cyber-Ermittlern werde am Mittwoch die Arbeit aufnehmen. Sechs Staatsanwälte würden sich dann unter großem Zeitdruck zuerst um die Fälle bemühen, bei denen davon auszugehen ist, dass der Missbrauch von Kindern fortgesetzt werde.
Biesenbach kritisierte, dass es noch immer keine Pflicht zur Speicherung und Herausgabe der Verbindungsdaten gebe. Ob es in allen Fällen gelinge, hinter den Pseudonymen, mit denen die Kriminellen kommunizieren, die tatsächlichen Namen zu ermitteln, sei daher unklar, sagte Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter der Cybercrime-Zentralstelle NRW.
In dem Komplex "Bergisch Gladbach" waren bisher deutschlandweit 72 Verdächtige identifiziert worden. Zehn waren zuletzt in U-Haft. Sieben Anklagen gegen acht Personen sind bereits erhoben worden. Der Fall war im Oktober 2019 mit der ersten Durchsuchung bei einem der Hauptverdächtigen in Bergisch Gladbach bei Köln ins Rollen gekommen.
Der Komplex hatte noch im Juni täglich 120 bis 140 Ermittler beschäftigt. In der Spitze waren es sogar 350 Mitarbeiter. Die Verdächtigen sollen teilweise ihre eigenen Kinder missbraucht und Bilder der Taten getauscht haben. Ermittler werten seit Monaten riesige Datenmengen aus. Die Ermittlungen erstrecken sich längst auf sämtliche 16 Bundesländer.
Die Arbeit in der seit Herbst 2019 bestehenden Ermittlungsgruppe "Berg" sei psychisch sehr belastend, hatte der Kölner Kriminaldirektor Michael Esser vor kurzem berichtet. Drei Ermittler seien dauerhaft krank geworden. Andere hätten nach psychologischer Betreuung den Dienst wieder aufnehmen können.
Insbesondere die Sichtung des Videomaterials bringe jeden Ermittler an die Grenze seiner Belastbarkeit. Die "Besondere Aufbauorganisation Berg" hat bisher 44 Kinder identifiziert und aus den Fängen der Täter befreit. Darunter war auch ein drei Monate altes Baby.