Zwei Tage nach der Freilassung gab der 17-Jährige ein ausführliches Fernsehinterview. Der Anwalt des Opfers will Einspruch einlegen.
Zwei Tage nach der Entlassung Marcos aus türkischer Untersuchungshaft hat der deutsche Fernsehsender RTL am Sonntag (22.30 Uhr) das erste ausführliche Interview mit dem 17-jährigen Schüler aussgestrahlt.
Einspruch des Opfer-Anwalts
Der Anwalt des Opfers will nun
Einspruch gegen Marcos Freilassung einlegen. Er kündigte außerdem
Strafanzeigen gegen die deutschen Marco-Anwälte Michael Nagel und Matthias
Waldraff an. Sie hätten laut Presseberichten eine versuchte Beeinflussung
des Gerichts zugegeben. Nagel sagte AFP, die Verteidigung sehe Einspruch und
Anzeigen "gelassen entgegen". Unterdessen sichtet die im Fall
Marco ebenfalls ermittelnde Lüneburger Staatsanwaltschaft aus der Türkei
eingetroffene Akten.
Aycan sagte, eine Entscheidung des Gerichts in Antalya über seinen gegen Marcos Freilassung gerichteten Antrag sei erst nach dem mehrtägigen islamischen Opferfest zu erwarten, das am Donnerstag beginnt. Ohnehin sei der Einspruch "vollkommen symbolisch", da der 17-Jährige aus dem niedersächsischen Uelzen seit dem Wochenende wieder in Deutschland ist.
Weihnachten bei der Familie
"Ich bin überglücklich, dass
ich mit meiner Familie wieder zusammen bin, mit meiner Mutter und meinem
Vater und dass ich mit meiner Familie Weihnachten feiern kann", hatte
er bereits am Samstag dem Nachrichtensender n-tv gesagt. Außerdem dankte der
17-Jährige aus Uelzen in Niedersachsen den Menschen, die ihn während der gut
acht Monate dauernden Haft unterstützt hatten. "All das hat mir
sehr viel Kraft gegeben, und dafür bedanke ich mich sehr." Zuvor
hatte ein Gericht im türkischen Antalya Marco ohne Auflagen auf freien Fuß
gesetzt.
"Dachte an Verwechslung"
Marco hat zuerst an eine
Verwechslung geglaubt, als er in der Türkei erstmals mit der Anschuldigung
des sexuellen Missbrauchs der 13-jährigen Charlotte konfrontiert wurde. Als
er dann ins Gefängnis gebracht worden sei, habe er geglaubt, dass sich die
Angelegenheit rasch aufkläre, sagte der 17-Jährige in dem Interview.
(c) APA
Schwere Zeit
"Es war eine sehr schwere Zeit, und ich
brauche jetzt erst einmal sehr viel Ruhe", sagte Marco, der in der
Nacht auf Samstag nach seiner Haftentlassung nach Deutschland zurückgekehrt
war. "Ich bin, glaube ich, immer noch genauso wie vorher, aber habe
sehr viele Sachen neu hinzu gelernt."
Zu seinem achtmonatigen Gefängnisaufenthalt sagte der Schüler: "Man kann sich ja ein bisschen die Zeit vertreiben mit Sport, mit Fernsehen, aber die Zeit läuft dort im Gefängnis einfach langsamer. Aber die Zeit wurde dann irgendwann wieder normaler, und man konnte sich dann immer besser die Zeit vertreiben."
247 Tagen im Gefängnis
Nach 247 Tagen im Gefängnis war
Marco am frühen Samstagmorgen mit einem Privatjet auf dem Nürnberger
Flughafen gelandet. Er verließ den Airport gemeinsam mit Begleitern in einer
Limousine mit unbekanntem Ziel. Über seinen Aufenthaltsort konnten weder die
Polizei in Nürnberg noch ein Flughafensprecher Angaben machen. Ein Sprecher
des Privatsenders RTL, zu dem auch der Nachrichtenkanal n-tv gehört, sagte
der Deutschen Presse-Agentur dpa, RTL-Mitarbeiter hätten Marco auf dem Flug
begleitet. Der Privatsender halte die exklusiven Fernsehrechte. Zum
Aufenthaltsort wurden keine Angaben gemacht.
Größter Wunsch: mit Familie allein sein
Noch in
Antalya hatte Marcos Anwalt Michael Nagel mitgeteilt, dass der Jugendliche
erst einmal nicht in seine niedersächsische Heimatstadt Uelzen zurückkehren
werde. Sein größter Wunsch sei es, mit seiner Familie allein zu sein und
sich eine Woche lang von seiner Mutter verwöhnen zu lassen, sagte Nagel. Der
nächtliche Heimflug kam für viele Beobachter überraschend.
Der Missbrauch der kleinen Charlotte
Marco soll während eines
Osterurlaubs in der Türkei die 13 Jahre alte Britin Charlotte sexuell
missbraucht haben, was er aber bestreitet. Der Prozess soll am 1. April in
Antalya fortgesetzt werden. Deutsche Politiker reagierten mit Freude auf die
Freilassung, wegen der langen Verfahrensdauer aber zum Teil auch mit Kritik
an der türkischen Justiz.