Marcy Borders

"Niemand hat mir geholfen. Bin durch den Rost gefallen"

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Weltberühmt. Für Marcy Borders ist am 11. September die Zeit stehen geblieben. Ihre Laufbahn als Sekretärin in einem Büro mit Blick über den Hochhauswald Manhattans endete mit dem Jumbo-Einschlag ruckartig.

Da stand Marcy, gekleidet in ein adrettes Kostüm, an der Kopiermaschine im 81. Stock des WTC-Turms, Nr. 1. Sie schafft die Flucht, entkommt knapp den herabfallenden Trümmern, endet von Asche bedeckt in einer Passage. Dort wird sie fotografiert, hilflos, geschockt. Ihr um Hilfe flehendes Gesicht hinter der Staubkruste wird zum berührendsten Bild des Horrortages.

Marcy, das einstige „Party Girl“ mit Abschluss in Büromanagement, war weltbekannt – doch ihr Leben praktisch zu Ende: „Ich fühle mich noch immer wie am 12. September”, flüstert sie, als ÖSTERREICH sie an einem heißen Sommertag in New York besucht: „Ich kann mich nicht aufrappeln, ich schaffe es nicht.” Es ist ein Trauma ohne Ende: Albträume, immer die gleichen, sie, auf der Flucht vor einstürzenden Gebäuden, mitten im Krieg, mit Raketen beschossen. „Ich renne immer, renne, renne, renne”, sagt sie. Hinzu kommen Panikattacken, lähmende Angst, dass der Staub sie krebskrank machte.

Drogensucht

Es bleibt die Flucht in Alkohol und Drogen. Marcy, einst bildhübsch, hat sich verändert. Abgemagert, das Gesicht eingefallen, ihre Hände zittrig. Auch weil sie pleite ist, spart sie mit dem Essen. „Es ist erstaunlich, mit wie wenig Nahrung der Körper überlebt”, sagt sie. Seit fünf Jahren haust sie auf engen 40 Quadratmetern in einem Ziegelblockbau im heruntergekommenen Teil der Schlafstadt Bayonne, New Jersey. Selten verlässt sie ihre abgedunkelte Wohnung. Ihr Tag sieht so aus: Sie wacht sehr spät auf, schaut bis weit in den späten Nachmittag fern. Oft erst um 17.00 Uhr steht Marcy auf, isst, und geht früh wieder ins Bett.

Ihre Tochter Noelle, 13, sieht sie immer seltener, sie lebt mit dem Vater. Wenn sie von ihr spricht heult sie drauf los. „Ich schäme mich so sehr”, schüttelt sie den Kopf. Ärzte würden wohl klinische Depression und posttraumatischen Stress diagnostizieren, „doch niemand hat mir geholfen”, behauptet sie. „Ich bin durch den Rost gefallen.” Sie sei eben nicht die Frau eines Feuerwehrmannes.

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