Jaques Delors war eine treibende Kraft hinter den größten europäischen Integrationsschritten. EU-Spitzenpolitiker würdigen den Verstorbenen als "Giganten".
Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors ist tot. Dies teilte seine Tochter Martine Aubry am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP mit. Der französische Sozialist stand von 1985 bis 1995 an der Spitze der Brüsseler Behörde und galt als treibende Kraft hinter den größten Integrationsschritten in der Geschichte der europäischen Einigung: Die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes 1992 und die Gründung der Europäischen Union 1993. Delors wurde 98 Jahre alt.
Friedlich eingeschlafen
"Er ist heute in der Früh in seinem Haus in Paris im Schlaf gestorben", erklärte die sozialistische Politikerin Aubry am Mittwoch. Delors hatte seine europapolitische Laufbahn im Jahr 1979 begonnen, als einer der erstmals in direkter Volkswahl bestimmten Europaabgeordneten. Von 1981 bis 1984 war er französischer Wirtschafts- und Finanzminister, ehe er 1985 die Führung der Europäischen Kommission übernahm. Auf seine Initiative hin veröffentliche die Brüsseler Behörde damals ein Weißbuch zum Binnenmarkt, das unter anderem den Wegfall von Personen- und Warenkontrollen innerhalb der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die Beseitigung von staatlichen Monopolen sowie von steuerlichen Schranken für den grenzüberschreitenden Wettbewerb vorsah.
Zur Umsetzung dieser Maßnahmen wurde im Jahr 1986 die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von den damals zwölf EG-Mitgliedern beschlossen. Sechs Jahre später folgte dann mit dem Vertrag von Maastricht ein weiterer wesentlicher Integrationsschritt, der die Einführung einer Gemeinschaftswährung vorsah. In die Amtszeit von Delors fiel auch die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) mit den EFTA-Staaten (darunter Österreich) im Jahr 1994 sowie der österreichische EU-Beitritt im Jahr 1995.
Edtstadler: "Sein Erbe lebt weiter"
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) würdigte Delors als "großen Europäer". "Er hat wie kein anderer in seiner zehnjährigen Tätigkeit als EU-Kommissionspräsident die europäische Integration geprägt und wichtige Meilensteine, wie u.a. den Binnenmarkt und die Währungsunion auf den Weg gebracht. Sein Erbe lebt weiter", teilte Edtstadler der APA am Mittwoch mit.
Die EU-Spitzen verneigten sich vor dem legendären Kommissionspräsidenten. Die aktuelle Chefin der Brüsseler Behörde, Ursula von der Leyen, bezeichnete Delors als "Visionär, der Europa stärker gemacht hat". "Er hat ganze Generationen von Europäern geprägt, einschließlich der meinen", betonte die konservative Politikerin auf der Plattform X. "Mit dem Tod von Jacques Delors verliert die Europäische Union einen Giganten", schrieb auch EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola auf X. Als Kommissionspräsident und EU-Abgeordneter habe er unablässig für ein geeintes Europa gearbeitet. "Generationen von Europäern profitieren von seiner Hinterlassenschaft", unterstrich die Christdemokratin. EU-Ratspräsident Charles Michel bezeichnete Delors ebenfalls auf X als "einen der Baumeister unseres Europas". "Jacques Delors hat die Transformation der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in eine wahre Union angeführt, basierend auf menschlichen Werten und gestützt auf den Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung, den Euro", schrieb der liberale Politiker.
"Kämpfer für menschliche Gerechtigkeit"
Ähnlich äußerten sich der sozialistische EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und der frühere konservative französische EU-Kommissar Michel Barnier. Der ehemalige Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso würdigte Delors als "außerordentliche Führungsfigur". "Er verband die 'kleinen Schritte' der europäischen Integration mit dem Ideal eines geeinten Europas", so Barroso. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron bezeichnete Delors auf X als "Kämpfer für menschliche Gerechtigkeit".
Auch italienische Spitzenpolitiker würdigten Delors. "Mit dem Tod von Jacques Delors haben wir eine Persönlichkeit verloren, die auf der Grundlage christlicher Werte den Prozess der Stärkung Europas geprägt hat", sagte Außenminister Antonio Tajani. "Wir werden seine Ideen für ein stärkeres und noch mehr geeintes Europa weiterführen", kommentierteder frühere EU-Parlamentspräsident. Ex-Premier Matteo Renzi bezeichnete Delors als einen "Giganten des politischen Europas", sein Nachfolger Enrico Letta meinte, mit Delors verliere das moderne Europa seinen Vater. "Wir trauern um ihn, wir verneigen uns vor seiner moralischen Kraft und Autorität, wir werden seine Ideen mit noch größerem Engagement weiterführen", so Letta.